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Angelika Loderer, Wien/Feldbach

In the Studio

»Ich habe immer versucht, den Skulpturenbegriff weiterzudenken.«

Angelika Loderers Skulpturen könnte man wohl am besten als „medienreflexive Kunst“ bezeichnen, denn sie finden ihren Ausgang im Material und dessen  Eigenschaften. Ihre fragilen temporären Objekte bestehen aus Gussmetall und sekundären, also für Zwischenschritte genutzten Materialien aus dem Gießverfahren wie etwa Gießsand. Dabei schafft die Künstlerin ein Spannungsfeld zwischen der Dauerhaftigkeit des einen und der Flüchtigkeit des anderen Materials.

Angelika, welchen künstlerischen Ansatz verfolgst du denn mit deiner Arbeit?
Ich habe immer versucht, den Begriff der Skulptur weiterzudenken, und habe angefangen, die Bedeutung der klassischen Bildhauerei und des nackten Körpers, der vielfach skulptural behandelt wird, zu hinterfragen. So begann ich, mich auf formale Grundlagen zu konzentrieren und mit unterschiedlichen Techniken und Materialien aus der klassischen Bildhauerei zu experimentieren.

Du arbeitest gerne mit Formen, die du irgendwo vorfindest. Manchmal sind sie uns vielleicht nicht bekannt, aber es gibt sie bereits.
Stimmt. Ich habe begonnen, mit vorhandenen Formen zu arbeiten, weil ich der Meinung bin, dass wir schon von so vielen Objekten umgeben sind und ich mich eigentlich nur bedienen muss, anstatt neue herzustellen. Dabei stellt sich bei mir auch die Frage, wie gut ist eine Idee oder eine Form, dass sie die Berechtigung erhält, umgesetzt zu werden.

Von einem klassischen Bildhauer würde man erwarten, dass er ein Objekt aus einer Rohmasse bildet. Bei dir ist das Objekt schon vorhanden. Wie entstand der Gedanke dazu?
Angefangen hat es eher aus einem Mangel an Geld, da Materialien teuer sind. Daher habe ich versucht, die Negativform zu umgehen – sozusagen aus der Not heraus. So ist auch die Serie der Schüttlöcher entstanden, für die ich den Positivraum, also die Löcher von verlassenen Tierbehausungen wie Maulwurfsgängen oder Spechthöhlen ausgegossen habe. Dafür ist es notwendig, ein gewisses Feingefühl für seine Umgebung, das Material und die Technik zu entwickeln. Mich haben immer Prozesse und das Experiment interessiert. Mit diesem Prinzip bewege ich mich nah am Begriff der „medienreflexiven Skulptur“.

Was genau verstehst du unter dem Begriff „medienreflexiv“ in Bezug auf deine eigene Arbeit?
Medienreflexiv bedeutet für mich, dass die Materialeigenschaften und Verarbeitungsprozesse meiner Werkstoffe als grundlegende Parameter meiner Arbeit in den Gestaltungsprozess einfließen. Ich verwende Materialien wie Sand, Wachs, Metall, Gips und dergleichen und teste diese gerne auf ihre Möglichkeiten. Im letzten Jahr habe ich beispielsweise mit einer Mischung aus Pilzmyzel und Holzspänen experimentiert. Dabei habe ich versucht, den Pilz mit unterschiedlichen Dingen zu füttern. Ich fand das spannend, weil er lebendig ist und so viele Gattungen von Pilzen existieren. Ich fing an, damit zu arbeiten, und fand die Idee schön, dass der Pilz selber malte, wenn ich Fotografien mit der Pilzmischung in eine Plexibox steckte. Ähnlich wie in einem Aquarium konnte man den Prozess beobachten und sehen, wie durch den Befall und die Zersetzung neue abstrakte Bilder entwickelt werden, bis der Pilz austrocknet, so ähnlich wie Pappmaché.

Welche Idee liegt denn diesem Arbeitsprozess zugrunde? 
Ich glaube, ich bin auf der Suche nach einer subtilen Veranschaulichung, was normalerweise unsichtbar ist oder als unwichtig erachtet wird, jedoch einen großen Einfluss auf unser Dasein hat und uns ständig umgibt.

Du hast bei Erwin Wurm studiert, der mit seinen „One Minute Sculptures“ den Begriff der Skulptur auf den Kopf gestellt hat. Wie hast du das Studium in seiner Klasse erlebt und welche Erfahrungen fließen heute in deine Arbeit ein?
Da ich aus dem ländlichen Raum komme, wusste ich nicht gerade viel über zeitgenössische Kunst. Das einzige, was ich wusste, war, dass meine Neugier groß war. Damals hieß das Studium „Bildhauerei und Multimedia“ an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Erwin gab dem Skulpturenbegriff keine Grenzen. Den Ansatz fand ich spannend, und ich konnte uneingeschränkt meiner Phantasie freien Lauf lassen. Erwin hat mich von Anfang an motivierend unterstützt. Für sein Vertrauen in mich bin ich ihm heute noch dankbar.

Vor deinem Kunststudium hast du dich aber zunächst den Sportwissenschaften gewidmet. 
Stimmt. In Graz habe ich Sport studiert, als ersten Schritt nach meiner Matura, um mich aus dem Dorfgefüge in Feldbach herauszubewegen. Ein Jahr Studienaustausch in Arkansas, in den USA, an einem Liberal Arts College bot mir aber dann die Möglichkeit, mich künstlerisch zu betätigen, und natürlich später auf der Universität für angewandte Kunst, in der Bildhauerei-Klasse von Erwin Wurm.

Kunst und Sport klingen erst einmal nach sehr unterschiedlichen Gebieten.
Ich meine, dass es schon einige Parallelen zwischen beiden Bereichen gibt. Im Sport gibt es klare Regeln und Punktesysteme. Das Gleiche gibt es in der Kunst, auch wenn es heißt, sie wäre so frei. Man muss sich auch ganz und fast naiv der Sache widmen, ohne zu wissen ob man Erfolg haben wird. Und man muss eine gute Portion Ausdauer mitbringen. Außerdem ist das Vereinswesen im Sport gar nicht so fern von den Gruppierungen, die sich in der Kunstwelt bilden.

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Im Frühjahr diesen Jahres wurdest du eingeladen, im Grafischen Kabinett der Secession auszustellen. Es war nicht deine erste Solo-Ausstellung, aber sicherlich eine wichtige in deiner jungen Karriere.
Es war eine wirklich tolle Erfahrung. Ich habe dort eine Installation aus Sandarbeiten gezeigt. An der Wand waren einige Pilzmyzelbilder. Und eine Sammlung von Eiern befand sich in einer Vitrine. Ich wollte Materialität, Balance und Geste in einer natürlichen, ungezwungenen und spielerischen Weise in den Raum einfügen. Gleichzeitig war mir wichtig, die Grenzen der skulpturalen Form in einer Weise auszuloten, die sowohl selbstsicher als auch ungezwungen war. Ich wollte nicht nur die Abwesenheit und das Vorhandensein von Raum sowie die Stabilität und die Vergänglichkeit von Gegenständen vermitteln, sondern auch lebende Prozesse, Zerfall und die dazwischen auftretenden Verstrickungen sichtbar machen.

Wie entstehen deine beeindruckenden Skulpturen aus Gießsand, wie sie auch in der Wiener Secession zu sehen waren?
Gießsand wird im Sandgussverfahren zur Herstellung von Bronzegüssen gebraucht. Ich verwende dieses Hilfsmittel aber, um aus dem Arbeitsmaterial die Arbeit selbst, also eine Skulptur, zu schaffen. Die Skulpturen entstehen nach Planung aus dem Positiv und werden jedes Mal vor Ort schichtweise aufgebaut. Es sind die Grenzen des Materials, aber auch meine, da es mit einem großen körperlichen Aufwand verbunden ist, den Sand in seine Formen und Größe zu pressen. Die Aspekte von Fragilität und Vergänglichkeit an diesen Werken finde ich interessant, auch die Tatsache, dass das Material eine Wiederverwendbarkeit aufweist.

Deine Sandskulpturen sind immer in denselben drei Farben gehalten. Weshalb ist das so?
Ich verwende den Sand so, wie er aus der Metallgussproduktion kommt. Ich finde es nicht unbedingt nötig, ihn zu färben, da sich die Farben durch den Prozess erklären. Meine Skulpturen sind also in diesen Naturfarben – entweder in Braun, Orange oder Schwarz – gehalten. Der braune Sand ist Quarzsand und gilt als Ausgangsmaterial in den Gießereien. Der weiche Ölsand ist Orange gefärbt und wird im Gussverfahren angewendet, um feine Oberflächen abnehmen zu können. Der schwarze Sand ist gebraucht und wurde schon für einen Guss verwendet und ist daher verbrannt.

Stellt die Fragilität von Arbeiten wie deinen Sandskulpturen oder den mit Pilzen versetzten Fotografien eigentlich ein Hindernis für Menschen dar, die deine Arbeiten sammeln möchten?
Nicht wirklich. Ich habe kürzlich eine Arbeit mit Pilzmyzel an eine Ärztin verkauft. Sie schätzt vermutlich, gerade wegen ihrer Profession, das Lebendige und Unberechenbare an der Arbeit. Vor Kurzem wurde auch eine Sandskulptur von einem Sammler angefragt, den ich in den Aufbauprozess des Werks einbinden werde. Im Preis der Arbeit ist inkludiert, dass ich sie zweimal für ihn wieder aufbaue, sofern das Werk in sich zusammenfällt oder er es an einen anderen Standort bringen möchte, wobei ich auch immer eine Anleitung mitgebe, damit eine Sammlerin oder ein Sammler selbst Hand anlegen kann. Ich glaube, dass gerade diese Ungewöhnlichkeit manche Menschen, die Kunst sammeln, erst recht anspricht.

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Untitled (Secession), 2017, Courtesy Angelika Loderer
Photo: (c) Matthias Bildstein

Du arbeitest sowohl in Wien als auch an deinem Heimatort Feldbach in der Steiermark. Wie teilst du dir die Zeit zwischen den beiden Orten auf?
Es kommt auf die Arbeitsphase an und welche Arbeit ich gerade umsetze. Diesen Sommer habe ich mich entschieden, ganz in der Steiermark zu verbringen und dort mein Lager aufzubauen. Im Winter werde ich eher in Wien sein. Jede Umgebung bringt auch andere Einflüsse und Möglichkeiten mit sich.

Hat die Tatsache, dass eine Kunstgießerei schon seit der vierten Generation im Familienbesitz ist, auch mit bestimmt, welche Ausdrucksform deine Kunst angenommen hat?
Klar hat mich der Beruf meiner Familie beeinflusst, da ich in einer Werkstatt mit Männern und unterschiedlichsten Formensprachen aufgewachsen bin. Die Kunstgießerei als Handwerkerbetrieb ist noch einer von wenigen Betrieben in Österreich und ein wichtiger Ort für mich. Ich konnte es jedoch nie richtig zuordnen, da einfach alles bei uns gegossen wird. Bekannte österreichische Künstler bringen ihre Werke zu uns. Genauso gibt es aber auch Aufträge für Industriegegenstände und Alltagsgegenstände, religiöse Dinge oder Geschenkartikel. Ein kunstkritisches Hintergrundwissen habe ich mir hier in der Gießerei nicht aneignen können. Da lag Wien dann doch näher. 

Hast du dir alle Prozesse des Kunstgießverfahrens eigentlich selbst angeeignet?
Schon als Kind bin ich in der Gießerei gewesen und habe mit den Skulpturen gespielt, da sie sich direkt neben unserem Wohnhaus befand. Nachdem der Betrieb größer wurde und ich auch, habe ich öfter in den Sommerferien in der Gießerei gearbeitet, um mir etwas Geld dazuzuverdienen. Gleichzeitig habe ich so natürlich viel über das Gießverfahren gelernt.

Es gibt ein faszinierendes Foto, das deinen Freund Dejan mit riesigen Wachshänden zeigt, die wie Pranken aussehen. Wir haben bisher noch gar nicht über dieses Material gesprochen.
Manchmal arbeite ich mit Wachs, das ich schichtweise auftrage, um so Volumen herzustellen. Beispielsweise tauche ich Extremitäten wie Hände und Füße wiederholt in Wachs mit Dejan zusammen, bis sich eine Form nach dem Zufallsprinzip ergibt. Durch diesen mehrstündigen Prozess entstehen interessante Hüllen, wie zum Beispiel tropfenartige Gebilde, die spitz erscheinen und dem Absatz eines Schuhs gleichen. Manche Werke bleiben dann in Wachs, andere verarbeite ich weiter. So sind unter anderem meine Schuhskulpturen aus Bronze entstanden.

Ist es richtig, dass auch die isländische Sängerin Björk ein Paar dieser außergewöhnlichen Schuhe aus Bronze getragen hat?
Ja, vor ungefähr eineinhalb Jahren schrieb mich eine britische Stylistin an, um meine Schuhskulpturen, die ich damals gerade in der Galerie Sophie Tappeiner ausgestellt und zuvor schon bei Erwin Wurm in Maissau gezeigt hatte, anzufordern. Björk sollte diese für ein Fotoshooting mit Nick Knight für das AnOther Magazine tragen. Sie hat die Schuhe auch tatsächlich anprobiert, konnte sie aber nicht tragen, da sie einfach nicht dafür gemacht sind. Die Bronzeschuhe waren jedoch Teil der Fotostrecke.

Es kommen bei dir also immer wieder neue Materialien und Ideen für Formwerdungen zum Tragen. Mit welchen neuen Materialien arbeitest du gerade am liebsten?
Aktuell finde ich thermoreaktive Materialien spannend. Ich interessiere mich für die sogenannten Mood-Ringe der 1990er Jahre, die ihre Farbe je nach Temperaturunterschied verändern und so vermeintlich Befindlichkeiten wiedergeben können. Es gibt auch Lacke, die diesem Prinzip folgen. Ich möchte Objekte herstellen, die mit Körper, Nähe und Befindlichkeit spielen. Derzeit bin ich aber noch in der Testphase.

Sind aktuell irgendwelche Ausstellungen bei dir in Planung?
Ich bereite mich derzeit für eine Soloausstellung in der Galerie Sophie Tappeiner in Wien vor, die Ende Oktober stattfinden wird. Ich freue mich schon darauf. Im Winter ist eine größere Show in Mailand geplant.

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Interview: Alexandra-Maria Toth
Fotos: Florian Langhammer

Links:
Angelika Loderer Website
Galerie Clemens Gunzer, Zürich/Kitzkühel
Sophie Tappeiner, Wien

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