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Emeka Ogboh, Berlin

In the Studio

»Es gibt ein nigerianisches Vibe, das nirgendwo repliziert werden kann.«

Während die meisten Menschen die Welt mit den Augen wahrnehmen, stellt der in Nigeria geborene Sound- und Installationskünstler Emeka Ogboh die Verbindung zu Orten über seinen Hör- und Geschmackssinn her und bietet so eine Alternative zu herkömmlichen Repräsentationen urbanen Lebens an. Am bekanntesten wurde er durch seine experimentellen Soundscapes, mit denen er das Lebensgefühl im zeitgenössischen Lagos belebte. 2015 nahm er an der Titelausstellung All the World's Futures der Biennale Venedig und in diesem Jahr an einem Ausstellungsmarathon von internationalem Ruf, an der documenta 14 in Athen und Kassel, teil. Sein Berliner Atelier ist mit nur einem Tisch, einem Computer mit großer externer Festplatte und einer Auswahl von Katalogen erstaunlich spartanisch eingerichtet. Von außen dringen nur die Geräusche der Natur in den Raum…

Du bist 2014/2015 über eine DAAD-Residency nach Berlin gekommen und hast dich entschieden zu bleiben. Welche Erfahrungen hast du in Berlin gemacht? Wie erlebst du die Stadt, besonders in ihrem künstlerischen und kulturellen Kontext?
Bisher war Berlin eine großartige Erfahrung. Die Stadt ist in ihrer Kunst- und kulinarischen Szene sehr vielfältig. Mit ihren vielen lokalen und internationalen Ausstellungen und Kunst-Events wurde ich mit viel neuer Kunst konfrontiert. Ich bin Menschen mit unterschiedlichen Backgrounds aus den verschiedensten Teilen der Welt begegnet und habe mit ihnen interagiert. Das hat mein Wissen erweitert und neue internationale Verbindungen ermöglicht. Kulturell habe ich mich auf Essen und Musik konzentriert und dadurch sehr unterschiedliche Kulturen in der Stadt kennengelernt. Bisher hat mich Berlin sehr stimuliert.

Inwieweit hat Berlin deine Kunst beeinflusst? 
Die Stadt hatte einen großen Einfluss auf meine Kunst. In Berlin ist mein Interesse an Kollaborationen mit anderen Komponisten und an der Erforschung von Audio-Archiven gewachsen. Meine neueste Erfahrung mit Bierbrauen und Markenbildung ist durch meinen Aufenthalt in Berlin ebenfalls aktiviert worden.

Du hast schon mehrmals Essen erwähnt. Man gewinnt den Eindruck, dass Essen eine besondere Bedeutung für dich hat. Kannst du uns sagen, warum das so ist? 
Abgesehen davon, dass Essen uns ernährt und den Hunger stillt, ist Essen auch eine gute Möglichkeit, sich sowohl mit seiner Herkunft als auch mit verschiedenen Regionen der Welt zu verbinden. Wir essen, um uns zu erinnern und können mit unseren Geschmacksnerven und Geruchsorgane in verschiedene Teile der Welt reisen.

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Dein Hauptmedium ist Sound. Warum repräsentiert Sound eine derart starke Kraft für dich?
Ich möchte deine Frage mit einem Zitat aus Brandon LaBelles Essay Auditory Relations beantworten: „Sound ist wesentlich und unumgänglich relational: er strahlt und breitet sich aus, kommuniziert, vibriert und erregt; er verlässt einen Körper und tritt in einen anderen ein; er bindet und löst auf, er harmonisiert und traumatisiert; er bringt den Körper in Bewegung, den Geist zum Träumen, die Luft in Schwingung. Er entzieht sich scheinbar jeder Definition und hat gleichzeitig eine tiefgreifende Wirkung.“ Ich kann mich dieser Aussage sehr identifizieren.

Wie klingt Berlin für dich?
Berlin klingt nach gelegentlichen Sirenen; in den meisten europäischen Städten sind Alarmsignale praktisch die einzigen Geräusche, für die ein hohes Dezibelniveau erlaubt ist.

Was ist dein persönlicher Soundtrack für Berlin?
Ich habe eine Playlist für Berlin, die ich immer dann spiele, wenn ich in die Stadt zurückkehre, besonders wenn ich vom Flugplatz oder Bahnhof in meine Wohnung fahre. Die Musik verbindet mich mit der Stadt, aber wenn ich zufällig irgendeinen Song von dieser Playlist auswählen müsste, würde ich wohl A World Without von Phaeleh wählen.

Du bist in Enugu, Nigeria geboren worden und hast lange Zeit in Lagos gelebt. Jetzt lebst und arbeitest du in Berlin. Wo ist Heimat für dich?
Im Laufe der Zeit habe ich verstanden, dass das Konzept Heimat nicht nur mit einem realen Ort verbunden sein muss, sondern etwas ist, was du in dir trägst. Wo immer ich mich wohl fühle, bin ich Zuhause. Und für mich können das Berlin, Lagos, Enugu und viele andere Orte sein.

Hast du manchmal Heimweh?
Meinst du mit Heimweh, dass ich Nigeria vermisse?

Das liegt ganz bei dir!
Gott sei Dank bin ich mit meiner Arbeit sehr beschäftigt gewesen. Die Technologie hält mein Heimweh in Schach. Ich bin durch Telefonate, Skype und SMS Apps in ständigem Kontakt mit meiner Familie und meinen Freunden. Und ich bin in der glücklichen Lage, dass ich, wann immer notwendig, nach Nigeria reisen kann, zum Beispiel wenn die Technologie nicht ausreicht oder wenn ich physisch mit meinen Leuten zusammen sein muss. Ich habe auch gelernt, mein Heimweh mit Essen und Musik zu lindern und das, was ich esse und höre so zu organisieren, dass ich mit meinen Wurzeln verbunden bleibe. 

Was an Nigeria vermisst du am meisten?
Die Atmosphäre und die Menschen, ihren Humor… die positive und zuversichtliche Energie, die von ihnen ausgeht. Es gibt ein nigerianisches Vibe, was nirgendwo repliziert werden kann. Es ist einzigartig. Ich vermisse auch frisches nigerianisches Essen.

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Lass uns an den Beginn deiner künstlerischen Karriere zurückgehen. Du hast einen grafischen Design-Hintergrund, bist erst vor wenigen Jahren Künstler geworden. Wie ist dieser Übergang von Grafikdesign zu Sound Art erfolgt?
Lagos machte mich praktisch zu einem Sound Artist. Aber diese künstlerische Arbeit mit Sound begann erst nach meiner Teilnahme an einem Medienkurs in Fayoum, Ägypten im Jahre 2008, der gänzlich auf Sound fokussiert war. Die Teilnahme an diesem Kurs öffnete meine Ohren, und als ich nach Lagos, eine Stadt mit einer vielschichtigen Soundkulisse zurückkehrte, habe ich begonnen, dieses Medium auszuloten und es wurde bald zu meinem Hauptinteresse. Die Stadt durch ihre Soundscapes zu erforschen, zu hören, aufzunehmen und zu verstehen hat mich letztlich zu einem Sound Artist gemacht.

Was ist dein persönlicher Soundtrack von Lagos?
In Bezug auf Musik ist es der Song Ojuelegba von Wizkid. Es ist ein Wohlfühlsong, der den Draufgängergeist von Lagos verkörpert.

Bisher ist 2017 schon ein sehr geschäftiges Jahr für dich gewesen: Du bist zur documenta 14 in Athen und Kassel und zu den Skulpturenprojekten in Münster eingeladen worden. Weitere Museumsausstellungen, wie eine Einzelstellung an der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden sind geplant. Kannst du uns einen Einblick in das geben, was du für die documenta gemacht hast?
Für die documenta 14 in Athen habe ich eine multimediale Installation mit dem Titel The Way Earthly Things Are Going geschaffen. Es handelt sich um eine 12-Kanal-Klanginstallation mit LED Displays von Börsenindexen aus der ganzen Welt in Realzeit, die den Fokus auf die Finanzkrise und ihre Auswirkung lenkt. Der die Installation begleitende Soundtrack stellt einen traditionellen polyphonen Song aus Epirus in Griechenland von Pleiades, einer rein weiblichen Vokalformation im unvollendeten Auditorium des Odeion Konservatoriums vor. Für Kassel habe ich gemeinsam mit CraftBEE ein Bier hergestellt, die Sufferhead Kassel Edition. Es handelt sich um eine konzeptuelle Arbeit, die die Rückkehr nach Europa durch das Brauen und Branding eines Bier untersucht.

Und für Münster und deine Einzelausstellung in Baden-Baden?
Meine Arbeit für die Skulpturenprojekte Münster bezieht sich auf den amerikanischen Komponisten Moondog, der seine letzten Jahre in Münster verbrachte und auf einem dortigen Friedhof begraben liegt. Es ist eine 16-Kanal-Klanginstallation am Fußgängertunnel neben dem Hauptbahnhof Münster. Die Installation besteht aus Trimbaklängen (einem von Moondog erfundenen Schlaginstrument, das von Stefan Lakatos gespielt wird) und Stimmen, die Zweizeiler von Moondog rezitieren. Außerdem gibt es ein Nebenprojekt über Bier (Stadt, Klang und Bier) für die Skulpturenprojekte. Ich habe mit Philipp Overberg an der Herstellung eines Bieres zusammengearbeitet, das von der Stadt Münster inspiriert wurde: ein Honig-Ale mit Lindenblüten, fermentiert zu den Soundscapes von Lagos, das heißt die Hefe wurde während des Fermentationsprozesses mit den Soundscapes von Lagos in Erregung gebracht. Das Bier heißt Quiet Storm und ist die Geschichte zweier Städte. Die Ausstellung für Baden-Baden ist noch in Arbeit, ich sortiere gerade meine Ideen. Ich musste zuerst die documenta und die Skulpturenprojekte aus dem Weg schaffen.

Du kommst wirklich viel herum in Deutschland. Wie hat dir Münster gefallen?
Münster hat sich bei jedem Besuch Schicht für Schicht entblättert und verschiedene Dynamiken enthüllt, die ich zunächst nicht wahrgenommen hatte. Freundschaften mit den Einwohnern haben diesen Prozess begleitet. Durch die häufigen Fahrten in die Stadt entwickelte es sich von fade zu sehr interessant. Ich habe mich jedes Mal auf das entspannte Ambiente gefreut.

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Sein eigenes Bier zu brauen, wie du es in Kassel getan hast, ist eine sehr ungewöhnliche Idee. Was hat Bier mit deiner Kunstarbeit zu tun?
Ich bin Künstler und liebe handwerklich gebrautes Bier, beides musste sich einmal überschneiden. Migration ist ein zentrales Thema meiner Arbeit. Mir war klar, dass ich dieses Thema durch die Herstellung eines handwerklich gebrauten Bieres und durch Werbung für dieses Bier ausloten konnte. Und darum geht es in dem Sufferhead Bier-Projekt.

Wird Sufferhead weitergehen?
Sufferhead Bier ist ein fortlaufendes Projekt. Die Geschmacksrichtung des Bieres wird sich ebenso verändern wie die Migranten, je nachdem wo es gebraut wird. Aber das Projekt geht über das Bierbrauen hinaus. Wenn man ein Produkt herstellt, entwickelt man auch die Möglichkeit einer Marke für das Produkt. Hier kommen meine Kenntnisse in Grafikdesign und mein Werbehintergrund ins Spiel. Für das nächste Bier wird es Außen- und Fernsehwerbung geben, und wir werden Etiketten, Clichés und die Erfahrungen afrikanischer Immigranten in Europa in die Werbung für das Bier aufnehmen.

Du entwickelst nicht nur verschiedene große Projekte gleichzeitig, du erhältst auch wachsende Aufmerksamkeit in der internationalen Kunstszene. Die unterschiedlichen Bedingungen der Produktion deiner Arbeit müssen schwer zu balancieren sein. Wie gelingt es dir, den Überblick über sämtliche Abläufe zu behalten?
Manchmal ist es überwältigend. Die richtige Balance zu finden, ist der Schlüssel. Jetzt weiß ich, wie und wann ich mich ausklinken, die Arbeit abschalten und etwas gänzlich Anderes oder gar nichts machen muss. Dein Geist und Körper signalisieren es dir, du musst nur darauf achten.

Wie sieht ein perfekter Sonntag aus?
Ein perfekter Sonntag ist ein Tag, an dem ich mich ganz entspannen kann. Ich brauche eine große Couch, Netflix oder Musik, gutes Essen, und enge Familienangehörige oder Freunde, um das zu erreichen.

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Interview: Julia Rosenbaum
Photos: Michael Danner

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