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Fiete Stolte, Berlin

In the Studio

»Als Künstler ist man ja immer etwas außerhalb der Regeln.«

In den konzeptionellen Werken von Fiete Stolte, der bei Karin Sander studierte, geht es hauptsächlich um ein Hinterfragen und Anders Denken der Wirklichkeit. So entwickelte Stolte bereits im Rahmen seines Studiums eine eigene Zeitrechnung, nach der er seit seinem Abschlussjahr 2007 für längere Zeit lebte und arbeitete. Seiner neuen Zeitrechnung zufolge zählte die Woche acht Tage und ein Tag 21 anstelle von 24 Stunden. Auf der Venedig Biennale ließ er 2017 seine eigenen Fußabdrücke in Kupfer gießen und auf den Boden legen. Diese eigenwillige Sicht auf die Fußsohlen des Künstlers beschrieb er selbst als aufwändige "ikonische Intervention". Wir sprechen mit ihm und seiner Partnerin Julia über die konzeptuellen Ansätze ihrer Arbeiten, über das Loslassen und ihre besondere Form der Zusammenarbeit.

Mit der konzeptionellen Arbeit „Measure 8 Days a Week“, die ihre Wurzeln noch in deiner Studienzeit hatte, bist du, Fiete, bekannt geworden. Ein Tag hatte für dich nicht 24, sondern 21 Stunden und eine Woche nicht sieben, sondern acht Tage. Du hast dafür sogar eine eigene Uhr entworfen, um diese alternative Zeitrechnung reell zu machen. Was war der Ausgangspunkt des Werks?
FS: Die Arbeit Measure 8 Days a Week ist eine einzelne Neonschrift aus einer Serie von Neons und Teil meiner 8-Tage-Woche. Es handelt sich dabei um den Versuch, ohne materielle Mittel, also eigentlich mit nichts, bestehende Parameter zu verschieben und damit etwas Neues zu kreieren. Konkret habe ich die Woche in kürzere Tage eingeteilt, die nur noch 21 Stunden hatten. Das ist eine bildhauerische und zugleich performative Herangehensweise. Ich habe den Tag zerteilt, neu geordnet und dann auch danach gelebt. Daraus sind neue Werke entstanden, in die ich das latent vorhandene Anderssein überführt habe. Die 8 Day Week Clock leihen wir dieses Jahr das erste Mal nach vielen Jahren für eine Ausstellung aus.

Hattest du früher bereits das Bedürfnis, dich gegen die konventionellen gesellschaftlichen Regeln und Einteilungen unserer Zeit zu stellen?
FS: Mein Bedürfnis ist erst in der Beschäftigung mit der Zeit entstanden, ich habe nicht bewusst danach gesucht, solche Dinge zu hinterfragen. Als Künstler steht man ja immer etwas außerhalb der Regeln. Bei mir kam schon im Studium das Atelier als Ort hinzu, der es leisten konnte, zugleich ein Ort des Dabei-Seins zu sein, des In-der-Natur-Seins und des Draußen- und Außerhalb-von-allem-Seins. Das Hinterfragen von festgesetzten Dingen spielt eine große Rolle für mich. Das können zeitliche Parameter sein, manches davon ist physikalisch nachvollziehbar wie ein Tag oder ein Jahr. Eine Woche wiederum ist willkürlich festgelegt worden, das war früher anders und könnte in der Zukunft anders sein. Viele solcher Vereinbarungen sind Kinder ihrer Zeit. Seit das Kunstlicht existiert, sind wir nicht mehr daran gebunden, nur tagsüber zu arbeiten und nachts zu schlafen. Viele solcher Normen und Einteilungen sind willkürlich.

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Das stimmt. Gerade überlegt man ja, die Sommerzeit wieder abzuschaffen. Das ist so eine willkürliche Einteilung. Wie war es denn, die 8-Tage-Woche real zu leben? Hat sich dein Leben dadurch verändert? Was war im Vergleich zur 7-Tage-Woche anders?
FS: Das Spannende war das Aufeinandertreffen von zwei Zeitsystemen, die zunächst unsichtbar sind. Erst durch die Kommunikation mit anderen Menschen werden sie sichtbar, z. B. wenn man sich verabreden will. Normalerweise bedeuten zwei verschiedene Zeitsysteme automatisch, dass man an einem anderen Ort ist. Wenn ich mit jemandem telefoniere, der in einer anderen Zeitzone lebt, ist es total normal, dass man unterschiedliche Zeitsysteme hat. Aber an demselben Ort ist das eben nicht normal und bringt eine Konfrontation mit sich. Hier setzen meine Arbeiten an, z. B. die Polaroid-Serien. Die Arbeiten überführen diese Themen visuell und zeigen auch die Zonen des „Dazwischen-Seins“. Sie zeigen, wie die Nacht und die äußerliche Dunkelheit sich zu den jeweiligen Zeiteinteilungen verhalten und sich als Strukturen durch die Arbeiten ziehen. Neonschriften funktionieren in diesem Kontext wie Überschriften und können Denkanstöße für die Imagination sein, z. B. was es bedeutet, außerhalb einer vorgegebenen Einteilung zu denken. Für jeden ist es ja etwas anderes, jeder kann sich da hineindenken. Für mich waren es auch körperliche Erfahrungen, aber vor allem natürlich spannende Begegnungen und Dialoge.

JS: Für mich sind das Schnittstellen. Ich habe diese Zeit nicht mit Fiete miterlebt, aber aus der dadurch möglichen Distanz heraus und zugleich durch meine intensive Beschäftigung mit den Werken treten für mich die Verbindungselemente besonders in den Vordergrund. Es steckt eine große Kraft in diesen Arbeiten, bestehende Grenzen zu überschreiten und mit Normen zu brechen. An den Schnittstellen treten Provokationen auf. Du bist in deiner Zeit, ich bin in meiner Zeit. Welche zählt? Im besten Fall löst das dann eine Neugier bei dem Gegenüber aus, und es ist spannend, diese Reaktionen der anderen zu erleben.

FS: Es geht auch um An- und Abwesenheit. Man kann zugleich an- oder abwesend sein. Das wird als Polarität in den Fokus gestellt, was auch in anderen Arbeiten wieder auftaucht.

An- und Abwesenheit ist ja ein großes Thema eurer Arbeit. Auf der 57. Biennale von Venedig wurdest du, Fiete, von der Kuratorin Christine Macel eingeladen, eine Arbeit zu zeigen. Im Arsenale hast du die Arbeit „Printing my Steps“ gezeigt, die du bereits vorher in Berlin entwickelt hattest. Es handelt sich um einen Fußabdruck. Was hat es damit auf sich?
FS: Es ist ein Fußabdruck, getrieben in Kupfer und wurde aus einem Blech in das Metall hineingearbeitet. Dieses Werk spielt ganz stark mit Abwesenheit und auch mit negativen Formen, ganz schlicht. Es sind zwei Abdrücke im Boden, als ob man im Sand gelaufen ist. Es wirkt sehr ephemer und zugleich hochwertig und von Dauer, was dem Material geschuldet ist. Kupfer steht für mich für Berührung und besitzt eine große Leitfähigkeit. Hinzu kommt, dass man Kupfer auch für Radierungen verwendet. Die Arbeit ist für mich daher auch wie eine dreidimensionale Druckplatte, genau wie diese sind die Fußabdrücke zur Vervielfältigung gedacht. Sie stehen fürs Schreiten, fürs Gehen. Sie sind versetzt voreinander, versinnbildlichen dadurch imaginär das Fortschreiten – in beide Zeitrichtungen, vor und zurück.

JS: In dem Video von Bas Jan Ader, das nebenan hing, gibt es einen Moment, in dem er mit den Füßen voran ins Wasser eintaucht. Bas Jan Ader ist ja später auf wundersame Weise verschwunden, auch das thematisiert sowohl An- und Abwesenheit und eine weitere zeitliche Dimension. Diese gemeinsamen künstlerischen narrativen Momente hat Christine Macel erkannt und in dem Raum im Arsenale schön kombiniert.

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Der Raum auf der Biennale hatte an sich schon eine besondere Magie. Wie sehr ist es euch wichtig, dass diese Poesie des Moments, die Stille, die An- und Abwesenheit durch den Raum, der eure Kunstwerke umgibt, zum Vorschein kommen?
FS: Manchmal muss man stark daran arbeiten, dass das zusammentrifft und der Ort die gewollte Atmosphäre unterstützt.

JS: Im besten Fall ist das von vornherein vorhanden, wie auf der Biennale, aber oft muss man sehr daran arbeiten. Es gibt immer eine gewissen Abhängigkeit des Künstlers vom Kurator, der entscheidet, welcher Ort dir gegeben wird. Bei der Venedig Biennale war das ein Glücksfall. Es gab aber auch schon Situationen, in denen wir den Ort architektonisch erst einmal umbauen mussten, damit das funktioniert. Der Umraum spielt eine große Rolle, um die Wirkung zu schaffen.

Aktuell läuft die Ausstellung „Painting the Night“ im Centre Pompidou in Metz, in der eure Arbeit „Smoke“ zu sehen ist. Auch dieses Werk wurde auffallend gut platziert und in eine kuratorische Narration gesetzt. Wie sehr könnt ihr gemeinsam mit den Kuratoren den Platz einer Arbeit bestimmen?
FS: Das ist immer anders. Bei einer der nächsten Ausstellungen wird ein Werk, das seit zehn Jahren existiert, direkt von einer Sammlung in eine Ausstellung verliehen. Da hat man überhaupt keinen Einfluss drauf, wie und in welchem Kontext das Werk gezeigt wird. Anders ist es natürlich bei einer Einzelausstellung, wo man von Beginn an gemeinsam mit dem Kurator den Prozess gestalten kann.

JS: Wenn man von Anfang an ein Projekt begleiten kann, macht das natürlich viel mehr Spaß. Aber auch das durch eine gewisse Passivität Gekennzeichnete kann spannend sein. Durch die Auswahl und die Platzierung durch andere können neue und interessante Sichtweisen entstehend. Das kann sich wiederum positiv auf den eigenen künstlerischen Prozess auswirken, weil man sonst vielleicht auch ein bisschen in der eigenen Inszenierung gefangen ist. Es entstehen neue Perspektiven, das ist spannend.

Gibt es dafür ein aktuelles Beispiel?
FS: Ja, es gibt eine aktuelle Arbeit, Roots, von der in Kürze zwei Fotografien in einer Ausstellung gezeigt werden, die mehrere Sammler zusammen gestalten. Bei Roots handelt es sich um umgedrehte blätterlose Bäume, die aussehen wie Wurzeln. Die Motive auf den Fotografien erscheinen zudem als Negative, sind also invertiert. Im Gespräch mit der Sammlerin haben wir gemeinsam die Idee entwickelt, den Besuchern eine Brücke zu bauen, indem die zweifache Invertierung nachvollziehbar gemacht wird, damit die Arbeiten besser verstanden werden können. Wir haben beim Zeigen dieser Werke nämlich selbst immer mit einer App auf dem Handy das Kamerabild invertiert – wie bei einem Negativ, das für den Abzug wieder ins Positiv umgekehrt wird. Als Closed-Circle-Installation stellen wir diesen Schritt, diese doppelte Umkehr, dar. Die inhaltlich begründete Umkehr kann so vom Betrachter nachvollzogen werden. Wie bei Manzonis Socle du Monde wird die Schwerkraft nicht verneint, aber umgedreht. Das ist ein simpler Gedanke, birgt aber zugleich das physikalische und fotografische Invertieren in sich. Die fotografiegeschichtliche Tatsache, die Übersetzungs- und Abstraktionsleistung, also ein Abbild ins Negative zu übersetzen und dann wieder zurückzuübersetzen, wird eigentlich durch die digitale Fotografie gerade redundant. Die Bedeutung der Motive wird ebenfalls umgedreht, aus dem Baum werden Wurzeln und nähren plötzlich etwas, was man vielleicht noch gar nicht sieht. Es entstehen neue gedankliche und zeitliche Verbindungen zum Himmel, der Erde – oder was wir sonst so als eigenen Umraum begreifen.

JS: Es gibt eine gewisse Grundarroganz, die Künstlern nachgesagt wird, dass sie sich nämlich selbst genügen mit der künstlerischen Idee und nur mit sich selbst verbleiben und den Leuten gar nicht erklären wollen, was sie tun, und ihnen ihr Werk einfach vor die Füße schmeißen. In dem Fall von Roots ist es aber ganz reizvoll, hier eine Brücke zu schaffen. Es wird generell dankbar angenommen, vermittelnd tätig zu sein, und nimmt der Arbeit keinen Reiz. Wir überprüfen natürlich immer, was das am Ende mit dem Werk macht. Bei dieser Arbeit kommt noch hinzu, dass dem Moment und dem Performativen an sich eine große Rolle zukommt. Es entstehen ganz unterschiedliche Bilder, je nachdem wie die Lichtsituation im Moment der Aufnahme gerade ist, in der Fiete die Fotos schießt, d. h., es kommt zu der an sich konzeptionellen Arbeit eine gewisse Intuition hinzu, die zwar sonst auch in anderen Werken sichtbar ist, aber nicht so stark wie in dieser Arbeit. Was genau es wird, sieht man erst am Ende, im Moment des Invertierens. Die Arbeit ist daher fast ein wenig malerisch, impressionistisch, also ganz untypisch für die Konzeptkunst.

FS: Die Farben tauchen dann in ganz nuancenreichen Abstufungen auf, wenn Tag und Nacht aufeinandertreffen. Das ist, losgelöst betrachtet, völlig verrückt. Durch die Wolkenverteilung und andere klimatische Phänomene sind jeden Morgen neue und einzigartige Farbverläufe sichtbar, in immer neuen Konstellationen, nie wiederholbar. Das ist trivial und unglaublich faszinierend zugleich.

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Wie verhält es sich mit dem Thema Planbarkeit und Zufall in euren Arbeiten? Wann wird was aktiviert?
JS: Wir experimentieren mit Materialien und sammeln die Ergebnisse in Skizzenbüchern. Aber erst, wenn diese Materialexperimente auf eine Idee treffen, bekommen sie Sinn, dann entsteht etwas Neues. Wir stellen uns gegenseitig Ideen vor, und dann findet sich etwas zusammen, wenn Material, Konzept, manchmal auch Anlass, stimmen. Das ist nicht rein rational, man spürt das einfach.   

FS: Die Ideen aus den Büchern kommen immer wieder hoch, werden in unser Bewusstsein gespült. Im Sinne des ursprünglichen Gedankens der Konzeptkunst sind die Arbeiten ja schon da, wenn sie einmal gedacht wurden. Die Skizzen werden überprüft, und wenn die Idee gereift ist und die Zeit stimmt, dann werden sie physisch realisiert. Vor einiger Zeit hat Julia gesagt: „Hey, da liegen doch tolle Steine, mit dem Material könnten wir was machen, das ist ein wunderbarer Stein.“ Ich habe dann mein Skizzenbuch herausgeholt und ihr eine Idee gezeigt, für die man genau solche Steine braucht. Jetzt arbeiten wir im Frühjahr daran weiter. Es geht nun noch um die äußerliche Form.  

JS: Dabei geht es auch um die Frage: Wie gehen wir mit der begrenzten Anzahl an Steinen um? Können wir eine Serie machen oder in diesem Fall ein Werk, aus mehreren Teilen bestehend? Gibt es eine Auflage eines einzelnen Werks? Man kann die Kunst aber nicht solchen Überlegungen, die ja auch marktbestimmend sind, vorab unterwerfen. Das muss sich im künstlerischen Prozess selbst klären. Für den Kunstmarkt hat die Edition eine große Wichtigkeit bekommen.

Und für euch? Die Edition nimmt zunehmend Raum ein in euren Arbeiten und ist für euch immer wichtiger geworden: Kann man das so formulieren? Wie hoch ist der Stellenwert einer Edition in eurem Werk – im Vergleich zum Unikat?
FS: Bei der Edition mag ich den Gedanken, dass nicht nur die eine vermögende Person dieses eine Kunstwerk besitzen kann, sondern dass mehrere Personen in den Genuss des Werkes kommen können. Editionen haben auch eine Aura. Wir arbeiten mit Klosterfelde Edition zusammen, dort werden genau diese Gedanken verstanden.

JS: Viele Kunstwerke nennen sich heute Editionen und sind sehr teuer und haben mit der Idee der Demokratisierung wenig gemein. Für viele Sammler ist wichtig geworden, einfach ein Werk eines Künstlers zu besitzen, ähnlich wie bei einer Louis-Vuitton-Handtasche. Hauptsache, man hat eine. Da hat man als Künstler oder Studio nur wenig Lust, mitzumachen. Eine Edition muss Sinn haben, inhaltlich oder technisch eine Vervielfältigung nahelegen.

FS: Es gibt noch etwas dazwischen. Wenn man eine Skulptur von drei Exemplaren macht, dann sprechen wir noch nicht von einer Edition. Das ist so, seit es Gießtechniken gibt. Die einen Bronzegießer sagen, bis sieben Stück ist es ein Unikat, die anderen sagen was anderes. Das sind nur rein willkürliche Festlegungen. Wir machen oft kleine Auflagen, zum Beispiel drei Exemplare. Das kommt nicht nur uns, sondern auch dem Besitzer zugute. Die Arbeit bekommt dadurch eine andere Sichtbarkeit in der Welt.

JS: Für uns ist es auch immer wichtig, einen Artist’s Proof zu besitzen. Manchmal verschwinden Arbeiten einfach in Sammlungen und tauchen nie wieder auf, da ist es wichtig, ein eigenes Archiv zu haben, auch für die Zukunft.

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Könnt ihr loslassen, wenn eine Arbeit verkauft wird und in eine bestimmte Sammlung geht? Habt ihr das Gefühl, eure Arbeiten werden immer richtig verstanden?
JS: Nein, nicht immer.

FS: Der Besitzer einer Arbeit darf sie durchaus merkwürdig hängen. Zum Glück befinden sich die meisten Arbeiten an einem guten Ort, wo sie eine große Wertschätzung erfahren. Dass die Werke immer richtig verstanden werden, ist aber gar nicht so wichtig. Es gibt nicht die eine richtige Ausdeutung. Ich mag, wenn eine Arbeit unterschiedlich gelesen und verstanden wird.

JS: Das ist sehr spezifisch für dich, die Form ist vorgegeben, aber der Betrachter kann etwas anderes sehen und verstehen, als du dir ursprünglich dabei gedacht hast. Aber so generell braucht man beim Verkauf ein bisschen Humor. Das ist auch in Ordnung. Schwierig ist es, wenn jemand gar keine Verbindung hat und das Werk nur kauft, um damit irgendwann mal im Sekundärmarkt Geld zu machen. Das ist natürlich auch legitim, aber für uns schwierig, wenn diese Aspekte oder die Wandfarbe den Ankauf bestimmen. Wir legen großen Wert darauf, dass die Galerien das beim Verkauf berücksichtigen. Albertz Benda und Lisa Kandlhofer sind da zum Glück genauso wie Klosterfelde sehr rücksichtsvoll, und wir wissen immer, wo unsere Werke hingehen. Idealerweise lernen wir die Sammler auch vor dem Kauf kennen, so entsteht eine Verbindung. Das ist natürlich nur möglich, weil wir nicht so ein Riesenbetrieb sind.

Wie groß wollt ihr werden?
FS: Für mich ist es wichtig, dass der Bezug zum Werk vorhanden ist. Das Werk muss durch die eigenen Hände gehen. Man kann natürlich mit Assistenten Dinge entwickeln und ausführen. So können Ideen schneller am Material überprüft werden, das ist gut. Man kann oft nicht nur allein anhand einer Idee prüfen, ob es mit dem Material funktioniert.

JS: Wir wollen nicht Napoleon werden. Es geht nicht darum, das Größte zu erreichen. Wenn man es schafft, sich eine Existenz aufzubauen, in der man gut leben kann, sein Studio und ein paar Angestellte zahlen und dem nachgehen kann, was man will – nämlich Kunst zu machen, ohne anderen Nebenjobs nachgehen zu müssen –, und wir es schaffen, dabei auch noch eine Familie zu ernähren, das ist doch toll.

Ihr sprecht im WIR, entwickelt zusammen Ideen, tauscht euch aus. Wie verhält es sich mit eurer Zusammenarbeit eigentlich genau? Du, Julia, bist deutlich mehr als „nur“ die Ehefrau, du bist Fietes „Managerin“ und auch ein Teil des künstlerischen Prozesses. Wie würdest du eure Zusammenarbeit beschreiben?
JS: Nein, ich bin nicht wirklich Fietes Managerin, das würde es nicht richtig treffen. Es ist sehr komplex. Ich unterstütze Fiete im Vorankommen seiner künstlerischen Entwicklung, in der Entwicklung seiner Ideen und seinem Werk; darüber hinaus werde ich auch Teil dessen. Wir arbeiten auf Augenhöhe miteinander. Aber es steht ja bewusst nicht Julia Stolte auf dem Werk, sondern Fiete Stolte, daran wollten wir auch nie etwas verändern. Die Arbeiten haben ganz viel mit ihm als Mensch zu tun. Mittlerweile entwickle ich auch eigene Ideen für Fiete. Er entwickelt ebenfalls Ideen und wir stellen uns diese gegenseitig vor. Es ist ein Hineindenken in sein Werk. Mittlerweile bin ich in der Lage, Ideen so zu denken, dass es ihm vorkommt, als seien es seine eigenen. Es gibt da eine Kongruenz im Denken, wir arbeiten bereits fünf Jahre zusammen. Trotzdem sind wir sehr kritisch damit, was der andere vorschlägt, und wir bewegen uns hier deutlich raus aus der Beziehungs-Komfortzone. Aber das ist ja eine gute Überprüfung der Idee. Das macht es nicht immer einfach und birgt viel Konfliktpotenzial. Wenn man sich dann einig wird, ist es umso schöner. Die Einigung entsteht im Dialog miteinander.

FS: Eine Anekdote dazu: Als ich Julia die Idee zu Roots vorgestellt habe, hat sie sofort gesagt: „Super, mach das, das ist gut.“ Ich war im ersten Moment fast beleidigt, weil ich dachte, sie hat keine Lust, mit mir zu diskutieren, und will mich abspeisen oder hat gerade anderes im Kopf. Aber sie fand es einfach gut. Das war für uns eher ungewöhnlich, aber schön.

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Was sind eure nächsten Projekte?
FS: Wir haben eine Ausstellung in der Weserburg, kuratiert von Janneke de Vries. Das wird eine große Ausstellung, die sich aus vielen Sammlungen und Archiven speist, und wir freuen uns schon sehr darauf. Die Liste der ausstellenden Künstler liest sich sehr gut und interessant. Dann gibt es im Sommer in Potsdam noch die erwähnte Ausstellung mit den beiden Roots, wo sich mehrere Kunstsammler unter dem Namen „Art’Us Collectors’ Collective“ zusammengetan haben, um ihre Werke Kuratoren und Museen zur Verfügung zu stellen. Das wird sicher sehr spannend.

JS: Im Sommer planen wir eine Reihe neuer Arbeiten umzusetzen, dann können wir gut draußen arbeiten. Vieles passiert aber auch spontan.

Eine letzte Frage: Euer Atelier liegt in einem großen Park an einem Friedhof und wirkt fast wie eine Insel mitten in Berlin. Welche Rolle spielt euer Studio für euch und die Arbeiten?
JS: Ich benutze gerne den Begriff „Twilight Zone“, um den Ort zu beschreiben. Wir sind inmitten der Stadt und doch irgendwie ausgelagert, irgendwie dazwischen. Es gibt ein Gefängnis in der Nähe, einen Flughafen, wir sind nah am See, umgeben von Bäumen, früher war direkt hier auch ein Friedhof, alles ist mitten in der Natur gelegen. Man kann in den Himmel starren oder auf den See. Viele Arbeiten entstehen auf genau diese Art und Weise. Manchmal durch Spiegelungen des Himmels in der Teetasse oder in den Augen. Wir sind ja nicht frei von Kunstrezeptionen, wir haben beide an der Kunsthochschule studiert. Man muss sich aber immer wieder frei machen können von diesen ganzen Informationen und seinen eigenen Weg finden. Und da funktioniert der Ort hier wie ein Filter und bringt einen wieder zu einer gewissen Ursprünglichkeit der Betrachtung zurück.

FS: Man merkt den Werken an, wo sie entstanden sind. Sie tragen diesen Ort in sich. Sie tragen auch den Gedanken der Gleichzeitigkeit in sich.

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