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Heinrich Dunst, Wien

In the Studio

»Eine interessante Arbeit hat kein Ende.«

Heinrich Dunst verbindet in seinen Arbeiten Elemente der Sprache, des Bildes und der Skulptur und stellt deren Verhältnis als mediale Schnittstellen dar. In seinen „metasprachlichen“ Rauminterventionen und Performances setzt er sich mit der Lücke zwischen dem Sichtbaren und Sagbaren, der Unübersetzbarkeit einer Form in eine andere und der Kontextualität räumlicher Präsentationen auseinander, wobei er aufgerufene Referenzen in ihrer Eindeutigkeit hinterfragt.

Heinrich, wie hat es bei dir mit der Kunst begonnen? Du kommst aus einer sehr kleinen Stadt: Hallein bei Salzburg.
Mich hat es immer interessiert, bestimmte schräge Fragen an Literatur oder bildende Kunst zu stellen. Es gab an der Universität für angewandte Kunst in Wien mit den Professoren Bazon Brock und Peter Weibel ein provokantes Angebot, unterschiedliche theoretische und künstlerische Positionen kennenzulernen. Das war die Zeit, in der man die Möglichkeit hatte, medienübergreifende Dinge zu erforschen.

Als jemand, der auf dem Land aufgewachsen ist, lag es vermutlich nicht nahe, Kunst zu studieren. Welche Einflüsse gab es für dich?
Mein Umfeld hatte auf meine Entscheidung, Kunst zu studieren, keinen großen Einfluss. Zu meiner Familie gab es damals keine Rückkopplung. Anfänglich war es für mich in Wien auch nicht so einfach. Es war eine Zeit der absoluten Orientierungslosigkeit. Das war ein Aufsaugen und Herumgeistern zwischen Gehetztsein und Bodenlosigkeit. Ich habe erst Jahre später im Studium gemerkt, was für Konstellationen oder Formen entstehen können. Der Bereich, mit dem ich mich auseinandersetzen wollte – also Formen oder Verlaufsmomente im sprachlich-visuellen Bereich –, hatte sich aber damals schon angedeutet.

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Eigentlich kommst du ja aus der Malerei, hast dich im Laufe der Jahre aber ein wenig davon entfernt.
Ich habe mich der Malerei eigentlich mehr über Reliefs und Objektformen angenähert, weniger typisch malerisch. Auch bei Heimo Zobernig und Gerwald Rockenschaub waren skulpturale und sprachliche Konzepte für deren Arbeit ausschlaggebend.

Zobernig und Rockenschaub rechnet man, wie dich auch, zu NEO-GEO. Was versteht man unter der Bewegung?
Die NEO-GEO-Bewegung verstand sich als Gegenentwurf zur figurativ-expressiven Malerei. Sie manifestiert sich in der Verwendung geometrischer, häufig farbig gefasster Grundformen, die nicht auf die Malerei beschränkt bleiben, sondern auch in raumfüllenden Installationen oder filigranen Papierarbeiten aufgegriffen werden. Wesentliches Merkmal dieser geometrischen Formen ist, dass sie codiert sind und die geometrischen Elemente dadurch in den Rang eines metaphorischen Kommunikationsmediums erhoben werden. Nicht selten münden diese Codierungen in figurative Assoziationen. 1986 gab es die Ausstellung Tableaux Abstraits in der Villa Arson in Nizza. Daran habe ich neben Heimo und Gerwald teilgenommen, aber auch internationale Kollegen wie John Armleder oder Blinky Palermo waren vertreten. Dort habe ich damals auch Imi Knoebel kennengelernt, den ich bis heute sehr schätze. Diese Ausstellung wurde international aufgegriffen und besprochen, und sie wurde zum Prototyp für diese Bewegung.

In deinen Rauminterventionen beschäftigst du dich, als eine Art Weiterentwicklung von NEO-GEO, mit der Lücke zwischen dem Sichtbaren und dem Sagbaren. Formen von Buchstaben und Worte sind aus deiner Arbeit nicht mehr wegzudenken. Man könnte fast meinen, du versteht dich eher als Literat oder Poet.
Ich sehe mich schon eher im Bereich der visuell-bildenden Kunst. Sprache ist ja nicht nur an Buchstaben oder Wortsprache gebunden, sondern ein spannender Teil der Formen entsteht eben auch aus der Kollision dieser beiden Bausteine: Wortsprache und Bildsprache.

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Zudem kommt in deinen Arbeiten immer wieder mal ein ganz bestimmtes Rosa vor – eine Farbe, die in der bildenden Kunst nicht so oft Verwendung findet. Wie kam es zu dem Rosa?
Das war Zufall. Ich habe 2008 für eine Arbeit im Haus der Industrie in Wien erstmals dieses vorgefertigte Industriematerial verwendet. Ich habe es so, also ohne es weiter zu verarbeiten, einfach stehen gelassen. Ich fand die Farbe sehr ansprechend. Neben der Farbe war aber auch die hohe Konventionalität, die im Industriebereich angewendet wird, das Vorgefertigte als Hightech-Material der Gegenwart, für die Verwendung ausschlaggebend. Auch das Logo auf den Dämmplatten, das von der Industrie verwendet wird, habe ich einfach draufgelassen. Durch die Aneignung eines Buchstabens transferiert man dieses Material in etwas Subjektives. Genau diese Schnittstelle hat mich interessiert. Das ist für den Paternoster im Haus der Industrie (in dem die Arbeit installiert war) ganz gut aufgegangen. Ich habe dann aber festgestellt, dass das Rosa auch außerhalb dieses Kontextes funktioniert, und ich habe so begonnen, mehr damit zu arbeiten. Mittlerweile ist es in verschiedenen Museen und Ausstellungen aufgetaucht. Verwendung findet Rosa tatsächlich nicht so oft. Mike Kelley hat darüber ja mal eine Abhandlung verfasst.

“Pink is the hippie color. It’s fairydust color, gender-bender color, anti-I-beam-sculpture color, the color of New Man, the hermaphrodite color. Pink is the color of little girl’s rooms, dresses, and playthings. (...) For some reason pink has been deemed an unsuitable color for art. Perhaps it’s art’s „Noble“ stature that occasions this relegation. For, when pink is used, it is generally seen as perverse, as something purposefully wrong. Generally, pink is used in fine arts as a weapon, deployed deliberately because of its inappropriateness. It is a color too loaded with cultural associations from outside the art context to sit comfortably within it. Measured against this scene of identification is “inappropriateness” to art unmasks the masculine orientation of the art world... But perhaps it is this feminine aura that has made Pepto-Bismol such a popular product. When one is such, one wants to be mothered. Pepto-Bismol appears as an image of soothing mother’s mild to the adult infant suffering from colic."

Stimmt es, dass du das Rosa nicht mehr weiterverwenden willst?
Nein, ich bin nicht weg vom Rosa. Das kann man so nicht sagen. Die Formen sind durch verschiedene Präsentationen bekannt geworden. Ich möchte ganz einfach nicht eine Dominanz durchhalten müssen. Diese Werke sind ein Teil meiner Arbeit und keine „ideale Form“. Es ist ein Aufleuchten in meiner Arbeit. So wie Sprache ein Modul ist, das ständig hüpft und relative Momente erzeugt, so soll es auch in meiner Arbeit sein. Formen springen in andere Inhalte, aus der Abstraktion in den Alltag und zurück.

Kann man sagen, dass Rosa so etwas wie ein Markenzeichen von dir geworden ist?
Das würde ich nicht sagen. Es kennzeichnet primär ein Industriematerial, das von der industriellen Fertigung besetzt ist. Es wird für den Hausbau und das Dämmen von Häusern verwendet. Dafür ist es in ganz Europa bekannt. Dass es in einen anderen Zusammenhang hineingeraten ist, war mein Versuch, eine Schnittstelle zu zeigen. Der Künstler in seiner Ohnmacht schreit und begehrt auf, in den Bereich der Industrie vorzudringen! Die Frage ist, was passiert, wenn man sich an dieser Schnittstelle verirrt – also an der Stelle zwischen Vorgefertigtem und Aneignung. Für die Gegenwart ist das ein unheimlich spannender Moment, weil die Produkte in einem Hightech-Verfahren hergestellt werden, in dem viele Fäden von Digitalisierung in die Produktion hineinlaufen. Denn, wenn ich es fertige, laufen weitere digitale Ebenen hinein, da wir ja eine digitale Datei programmieren – eine PDF-Datei eines Buchstabens, die ich an eine Firma schicke – und die in einer zweiten Fertigung diese künstlerische Idee der Aneignung an dieses Material koppelt, was in der Produktion eigentlich nicht vorgesehen war. Der Fertigungsprozess ist somit keine individuelle Gestaltung mehr.

Ist es nicht auch eine Frage der Identität? Denn: Handelt es sich um einen Buchstaben oder um eine Dämmplatte?
Ja, das ist es. Wenn wir heute über die Fragen von Identität diskutieren, vor allem in der Politik, finde ich die Anmerkungen der Philosophin Chantal Mouffe sehr interessant. Sie sagt, dass Identität keine fixe Zuschreibung ist, weder im nationalen noch im ideologischen, sondern eine strukturelle Relation, die konstruiert ist und die wechselt. Davor fürchten sich manche Menschen. Es ist keine originär entwickelte Form. Identität ist ein strukturelles Konstrukt, das mit Grenzen, Relationen und Einschreibungen zu tun hat.

In der Politik wird das heute oftmals anders gesehen …
Für die Populisten ist Identität eine fixe Größe, die in ihrer Konstruktion nicht hinterfragt werden kann. Wenn ein Populist von moralischen und nationalen Zuschreibungen spricht, werden diese nicht als konstruierte Setzungen behandelt, sondern als erzwungene Formen. Das ist der Irrsinn, denn das entspricht nicht der Realität. Man kann dem eigentlich nicht viel entgegenhalten, außer aufzuzeigen, dass diese Relationen variabel sind.

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Wie, würdest du sagen, hältst du selbst als Künstler dagegen?
Ich versuche immer wieder zu zeigen, dass Formen und Relationen relativ sind, sie sich übereinanderlegen können, sich drehen können, Körperlichkeit haben, changieren – sich also immer in neue Relationen zueinander setzen. Ein gutes Beispiel ist eine Arbeit von Walter Swennen, auf die ich mich mal bezogen habe – ein Gemälde, das den Spruch eines belgischen Politikers abbildet: ZIE DIE HIER ZIJN ZIJN VAN HIER (Alle die hier sind, sind von hier). Wenn wir an diesem Beispiel über das Problem der Identität sprechen, finde ich interessant, dass es sich um eine tautologische Schleife von Behauptungen handelt: „Ich bin hier, weil ich von hier bin. Und weil ich von hier bin, bin ich von hier.“ Der Mechanismus dieser Aussage wird von Politikern der Gegenwart bewusst eingesetzt: „Ich bin das, weil ich von hier bin. Und weil ich von hier bin, bin ich von hier. Und deshalb sind wir für die, die von hier sind.“ Diese Arbeit von Walter Swennen war übrigens Teil einer Ausstellung im MUMOK in Wien, der Sammlung Schürmann, die eine Reihe von sprachlich strukturierten Arbeiten in Beziehung setzte.

Du selbst bist in der Sammlung Schürmann mit deiner Arbeit „DA“ vertreten.
In der Arbeit DA habe ich versucht, die Örtlichkeit in Form einer Skulptur anzusprechen. Es ist eine kleine Spracheinheit aus zwei Buchstaben, die die Örtlichkeit in einem völlig paradoxen Sinn zum Ausdruck bringt. Denn was heißt es, wenn ich sage: Es ist „DA“? „DA“ ist nicht der Ort der Produktion des Materials der Form. Das Wort beschreibt allerdings den Ort einer Darstellung und bezeugt das Vorhandensein der Skulptur, bestehend aus diesen zwei Buchstaben. „DA“ trägt also eine Absurdität in sich. Aber was ist denn dann „DA“? Plötzlich kommen wir in einen paradoxen Wirbel! Es ist ein merkwürdiges Mysterium, das sich einer eindeutigen Fixierung von Bedeutung ständig entzieht.

Wo wir gerade über Bedeutung sprechen, würde mich abschließend interessieren, wie du deine Arbeit idealerweise wahrgenommen wissen möchtest?
Ich sehe meine Arbeit wie Texte, die ständig Missverständnisse provozieren und mich darin produktiv begleiten! Es gibt da keine Eindeutigkeit, die diesen Prozess abschließen würde. Bei einem Computer ist das anders, weil es bei ihm kein Missverständnis gibt. Es gibt nur Eins oder Null. Bei Menschen ist das nicht so. Je höher die Missverständnisse sind, umso produktiver sind die Kommunikationsformen. Die Rezeption ist nie abgeschlossen, sie hört nicht auf. Eine interessante Arbeit hat somit kein Ende.

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Interview: Michael Wuerges
Fotos: Florian Langhammer

Links:
Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder

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