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June Crespo, Bilbao, Spanien

In the Studio

»Ich bin die Assistentin meines Werks.«

Die Bildhauerin June Crespo drückt ihre physischen Empfindungen und intimen Verbindungen innerhalb ihres Körpers in ihrer Arbeit aus. Sie verstärkt und verwirklicht diese durch Materialien, die hauptsächlich von ihr selbst hergestellt werden. Dazu verwendet sie unterschiedliche Gussformen, die so entstandenen Elemente fügt sie zusammen. Ihre Skulpturen erinnern an geschlechtslose Körper, monströs, zart, fragil und verletzlich zugleich. 

Wie kamst du zur Kunst?
Kunst war eines meiner Hauptinteressen in der Schule, mit Naturwissenschaften und Biologie. Schließlich studierte ich Kunst in Bilbao: Dort ermöglichte man mir, meinen Geist zu öffnen. Ich hatte das Gück, auf zwei Professoren zu treffen, die mir halfen, eine eigene Sprache zu entwickeln – oder es zumindest zu versuchen! Und dann ging ich einfach meinen Weg, immer am Arbeiten.

Die eigene Sprache zu finden, gehört zu den schwierigsten Herausforderung von Kunstschaffenden. Wie klingt deine Sprache heute?
Seit einigen Jahren besteht sie aus einer Ansammlung von Assemblagen und der experimentellen Verwendung von bedruckter und anderer Materie; sie bezieht sich vor allem auf Skulptur, ist aber auch mit der Nutzung von Bildern verwebt. Am Anfang meiner Karriere faltete ich Scans und Drucke – bis mir klar wurde, dass mich das Volumen der Folie wesentlich mehr interessierte als das Bild selbst! Heute produziere ich Gussformen und stelle damit Objekte her, die ich fragmentiere, verstärke und vergrößere. 

Wenn wir über Vergrößerung sprechen – ist deine Arbeit „gewachsen“?
In den letzten Jahren war es so, und doch steht mein Werk immer in Beziehung zu menschlicher Größe. Denn für mich ist eine Skulptur eine körperliche Begegnung. Es ist eine Einheit, die mir Bewusstsein über meine eigene Gegenwart schafft. 

Deine Skulpturen erinnern an Körper. Ist das eine Interpretation, die du hervorrufen möchtest?
Ja. Auch wenn meine Darstellungen des Körpers nicht gleich ins Auge springen mögen, so sind meine Werke doch von körperlichen Gefühlen oder Erlebnissen inspiriert und durchdrungen. Manchmal denke ich, dass sie eine Übersetzung von Gesten, Gefühlen oder einer Balance sind… Es geht um ein Gefühl, das ich in mir spüre, und das ich benennen muss, während ich an der Skulptur arbeite. Aber natürlich verstehe ich oft erst selbst, was ich geschaffen habe, nachdem es schon entstanden ist. 

„Sprichst” du mit den Skulpturen, während du an ihnen arbeitest?
Es ist ein ganzer Prozess, dem Objekt selbst zuzuhören! Du musst ihm lauschen und folgen. Ich bin bloß die Assistentin meines Werks und helfe, es in die Welt zu bringen. 

Deine Gefühle werden in deinen Skulpturen deutlich – konzentrierst du dich besonders darauf?
Nicht wirklich, und doch passiert es. Während meiner Arbeit denke ich daran, dem Werk zu dienen. Ich muss ihm ermöglichen, zu entstehen, damit es ein Recht zur Existenz bekommt. Natürlich bestimme ich die Elemente, aus denen die Arbeit entsteht, aber ich verhandle ununterbrochen mit ihnen. Mein Arbeitsprozess ist intuitiv und experimentell. 

Wie startest du die Arbeit an einem Werk?
Ich habe eine Idee, die mich antreibt, eine Intuition, die aus unterschiedlichen Quellen stammen kann: Träume, Bilder, Erinnerungen, das ist die eine Schicht. Und dann habe ich dieses physische Gefühl, als würde mein Körper irgendwo hängen, oder ich würde aus einem Traum erwachen, stehend oder liegend, und meinen Körper in allen möglichen Stellungen spüren. Manchmal denke ich an das Verhältnis zwischen meiner Zunge und meinem Gaumen, oder meinem Auge und dem Lid: Es sind intime Beziehungen. 

Und dann fokussierst du auf diese Empfindungen?
Ja. Und dann verstärke und projiziere ich sie auf unterschiedliche Arten, und bringe so die Materialen untereinander in ein Verhältnis. Wenn ich zum Beispiel ein durchsichtiges Stück Textil auf hartes Material lege, ist das die Übersetzung des Verhältnisses zwischen meinem Auge und dem Lid. Etwas von innen geht nach außen, und ich setze es in ein Verhältnis zu einem Objekt. Das sind die Intuitionen, mit denen ich beginne.

Skizzierst du diese Ideen?
Üblicherweise nicht. Nur manchmal, wenn ich eine Ausstellung vorbereite und meine Arbeiten im Raum organisieren muss, entwerfe ich Vorschauen, auch auf 3D, um ein Gefühl für die Größenverhältnisse zu bekommen; aber dann versuche ich, diese schnell wieder zu vergessen. Sonst wird die Vorstellung zu stark. Und das stört mich – denn man wird nie das Niveau dieses phantasmatischen Bildes erreichen, daher setze ich mich lieber mit den echten Materialien und deren Grenzen auseinander. Ich arbeite sehr viel daran, Dinge aneinander anzupassen. Ich greife zu unterschiedlichen Elementen und weiß nicht gleich, wie ich sie einsetzen werde, aber wenn ich sie erst einmal in der Hand habe, ordne, schneide, vereine ich sie. 

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Geht es in deiner Arbeit also darum, Objekte zu transformieren?
Ich befreie sie von ihrer ursprünglichen Funktion, und das erlaubt mir, etwas Neues zu sehen. In meiner Arbeit geht es darum, Möglichkeiten der Assoziation zu erweitern, um sie auf eines oder mehrere Objekte zu projizieren. Es geht darum, wie ich mich diese Objekte beeinflussen, wie ich mich mit ihnen fühle. Ich kann die Spannung dieser Skulpturen in meinen Muskeln und meinem Skelett spüren; sie vibrieren in mir. Ein Werk hat keine Bedeutung, wenn du es nicht in deinem Geist und Körper spürst. 

Wo findest du deine Materialien? Sind es Ready-Mades?
Am Anfang mag ich ab und an mit gefunden Objekten gearbeitet und sie zu einer Assemblage zusammengestellt haben. Doch in den letzten 10 Jahren lernte ich, wie man Gussformen herstellt, wie man mit Techniken experimentiert, wie man Dinge einarbeitet… Ich stelle die meisten Elemente selbst her, ausgehend von vorhandenen Gebilden. Außer etwa Gurte, recycelte Verdeckungen oder Ventilationsrohre, die ich für gewisse Zwecke verwende.

Ich habe den Eindruck, dass deine Skulpturen sehr viel Gefühl transportieren. Stimmt das?
Ja. Meinem Werk wohnt eine gewisse Lebenskraft inne.

Du sprachst über die Beziehungen zwischen deinen Objekten. Arbeitest du in Werkgruppen?
Ich sehe meine Praxis nicht als projektbasiert; damit meine ich, dass ich nicht einen Werkskörper für eine bestimmte Ausstellung herstelle. Es geht eher darum, dass mir viele Wege offenstehen, und diese aufeinander treffen. Ich kann auf Gebilde zurückgreifen, die mir vor langer Zeit untergekommen sind, und sie mit Dingen kombinieren, die ich vor zwei Jahren entdeckt habe… Es ist ein innerer Austausch zwischen meinen Objekten, und ja, dieselben Motive können immer mal wieder auftauchen. Das kommt, weil ich viel mit Wiederholung und Abänderungen arbeite: Die Gussformen, die ich herstelle, erlauben mir das, daher kann ich Variationen desselben Motivs herstellen, einfach oder komplex.

Du meinst unterschiedliche Versionen desselben Motives schaffen?
Ja. Es gibt eine Substanz, aber sie äußert sich in unterschiedlichen Objekten. Das ist die eine Art, wie ich über Gruppen und deren Beziehungen nachdenke. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich mehr Diversität in einer Ausstellung brauche, dann arbeite ich mit unterschiedlichen Skalierungen, Materialien, Gesten und Qualitäten. Ich versuche dann, diese Kontraste in meine Schau einzubringen. Wenn ich Objekte oder Dinge zusammenbringe, die ganz eindeutig nicht aus derselben Familie stammen, erlaube ich Gegensätzen gemeinsam zu existieren. 

Wie in einer echten Familie!
Stimmt (lacht). Auf eine komplexe Art kann man in meinen Schauen ein Zusammenleben sehen. Die Objekte sind unterschiedlich, aber sie stammen aus demselben Universum. Es ist auch auf einem konzeptuellen Level wichtig, eine weitere Stufe zu nehmen und über die komplexeren Dinge in unserer Welt zu sprechen. 

Du sprichst über Unterschiede und Diversität – die „Körper“, die du kreierst, sind also weder männlich noch weiblich?
In den letzten Jahren begann ich, organische Formen digital zu scannen, dann ihre Größe zu verändern und ein Extrakt aus ihnen zu gewinnen. Man konnte nicht mehr sehen, was sie ursprünglich dargestellt hatten. Es geht nicht um männlich oder weiblich, es gibt kein Geschlecht, nur eine Art, Gegensätze zu vereinen, paradoxale Beziehungen herzustellen. Die Skulpturen mögen monströs sein, aber auch zart und fragil, verletzlich… Es ist spannend, wenn ein Objekt sich in viele verschiedene Richtungen ausdehnt. Und ich führe all in einem einigen Werk zusammen. 

Du mixt Stein, Stoff und Metall – denkst du dabei an einen Körper, der auch aus unterschiedlichen Teilen besteht?
Ich muss diese individuellen Teile so verwenden, dass sie zu einem Ganzen werden. Der Betrachtende soll das Gefühl zu haben, dass das Werk alleine stehen kann, dass es eine Einheit ist. Es ist wichtig, dass diese Skulpturen sich zu einem Körper im weitesten Sinn zusammenfügen. 

In einer Ausstellung wirken diese „Körper“ wie eine Gemeinschaft?
Du gehst herum und entdeckst Dinge, während du dich bewegst. Die Choreografie des Raumes ist wichtig, sie sollte deine Wahrnehmung erweitern. Ich will Möglichkeiten für neue Begegnungen anbieten, mit dem Objekt selbst aber auch mit dem Betrachtenden vor dem Objekt. 

Wie unbeweglich sind die weichen Teile an deinen Skulpturen – veränderst du manchmal ihren Platz?
Während es Arbeitsprozesses bewegen sich diese Elemente. Begegnungen sind mir das Wichtigste, und kommen oft durch Missgeschicke oder Unfälle zustande. Wach zu sein und neue Möglichkeiten zu erkennen ist viel wichtiger, als bloß wiederherzustellen, was ich ursprünglich geplant hatte. Aber wenn ich das Gefühl habe, dass ein Objekt für sich selbst existieren kann, dann neige ich dazu, das zu respektieren. 

Denkst du, dass dein Werk etwas Klassisches an sich hat?
Nun ja, wenn ich an meine letzten Arbeiten aus Beton denke, fühlen sich die wie klassische Skulpturen oder Kouros an. Sie sehen aus, als gäbe es sie schon seit vielen Jahren. 

Du benützt auch Gurte, um manche deiner Objekte an der Wand zu fixieren, und fügst so deinem Werk Spannung hinzu. Ich hate sogar das Gefühl, dass sich die Skulptur irgendwie von der Wand lösen will…
Du kannst eine Lebenskraft spüren und etwas, das dich anzieht, aber eigentlich sehe ich das genau anders! In meiner Wahrnehmung hält dich etwas fest, und das gibt dir Sicherheit. Aber beides stimmt: Loslassen können, weil etwas dich hält, oder dich davon befreien wollen.

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Also darf dein Werk auf unterschiedliche Arten gelesen werden?
Ja, Komplexität ist wichtig. Es geht nicht darum, den Betrachtenden meine Sichtweise aufzudrängen, sondern etwas Komplexes herzustellen. Ich will keine Abkürzungen nehmen, die Komplexität der Entdeckung ist entscheidend.

Wir sprachen anfangs darüber, dass dein Werk gerade größer wird. Jedenfalls unterscheidet es sich diesbezüglich von deinen Skulpturen bei der Biennale in Venedig 2022, The Milk of Dreams. Kannst du mir etwas über diese Torsos erzählen?
Der Ausgangpunkt waren Schaufensterpuppen, die ich in den Niederlanden gefunden hatte, während einer Artist Residency. Für Venedig formte ich diese Torsos aus Metall, und veränderte die Technik, indem ich industrielle Rohrstücke, Fensterprofile und andere Strukturen in die Öffnungen steckte. Am Anfang standen diese Werke in Bezug zu Henry Moore’s „Helmet Heads“ Serie. Der Torso war wie eine schützende Rüstung oder ein Helm, und der Innen- und Außenraum waren völlig verbunden. Nun kann man natürlich die Torsos als Teil eines Narrativs sehen, als eben zwei aufeinander liegende Oberkörper. Aber das Unheimliche waren für mich die Löcher, die durch die fehlenden Arme, Köpfe und Unterkörper entstanden waren. Diese Löcher waren die wichtigsten Elemente dieser Torsos.

Wenn wir gerade über Henry Moore sprechen – wer sind deine anderen Inspirationen?
Mein Interesse an Botanik ist nach wie vor vorhanden, daher benutze ich viele organische Elemente in meinem Werk. Sonst mag ich vor allem andere Bildhauerinnen: Lygia Clarke, Louise Bourgeois, Eva Hesse, Alina Szpocznikow, Isa Genzken, Alexandra Bircken oder viele Freundinnen aus meiner Generation.

Denkst du, dass sie sich anders als Männer ausdrücken?
Nicht wirklich. Aber sie sprechen zu mir, zu meiner Technik, es ist eher wie eine Spiegelung. Und dank ihnen finde ich die Kraft, immer weiterzuarbeiten. Ihr Engagement für ihre Arbeit gibt mir Kraft und Energie.

Diese Frauen wurden in ihrer Arbeit oft nicht unterstützt. Denkst du, dass es Frauen schwerer haben?
Ich bin nicht sicher. Natürlich gibt es noch viele Ungerechtigkeiten. Aber da mein Blick großteils auf Bildhauerinnen gerichtet ist, sind sie für mich einfach da. Meine eigene Erfahrung war aber sehr positiv, daher mag ich eine verzerrte Sicht haben… Ich arbeite viel, aber ich bekam immer Feedback und Unterstützung, die mich wachsen ließen. 

Was sind deine neuen Projekte?
Ich habe eine Ausstellung in der Wiener Secession im September 2025, und dann eine in Le Crédac nahe Paris, die eine Woche nach der Secession eröffnet. 

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Text: Alexandra Markl
Fotos: MARAMCMILLER

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