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Caitlin Lonegan, Los Angeles, CA

In the Studio

»Meine Gemälde sollen im echten Leben wahrgenommen werden.«

Caitlin Lonegan ist eine amerikanische Künstlerin mit Sitz in LA. In ihre abstrakte Malerei legt sie ihre Betrachtungen über Licht, Bewegung, Raum und Zeit. Jeden Pinselstrich positioniert sie exakt, nachdem sie ihn davor in Zeichnungen durchdenkt. Letztere sind eigene Werke, die gleichzeitig mit den Gemälden ausgearbeitet werden. Während ihres Arbeitsprozesses nutzt Lonegan das ganze Farbenspektrum, inklusive metallischer Pigmente, um Bilder zu kreieren, die sich mit der vom Betrachtenden eingenommenen Position verändern. 

01 Caitlin Lonegan Cody James

Wie kamst du zur Malerei?
Am College hatte ich einige Erweckungserlebnisse. Ich war auf der Yale University in Connecticut, studierte Angewandte Physik und Kunst. Während einer Übung zu lokalen Farben fotografierte ich ein von mir geliebtes Cézanne-Stillleben ab und beschloss, mich ganz auf seine Pinselstriche zu konzentrieren. Ich blies jeden seiner Pinselstriche auf dieselbe Größe auf, um damit ein Raster zu füllen. Dabei begannen die Struktur und Tiefe des Bildes plötzlich zu leben – dass warf mich einfach um.

Du studiertest damals Physik?
Ich studierte Technik, und ich wollte Licht und Farbe verstehen. Ich war so begeistert von Cézannes Pinselstrichen in meinem Raster, so fasziniert von der Farbe und was sie bewirken kann. Seit damals ist das mein Thema. 

Du sprachst von mehreren Erweckungserlebnissen?
Ein anderes Mal stand Farbe noch mehr im Mittelpunkt. Wir malten in einem Feuerwehrrot, doch als ich dieses neben ein starkes Fuchsia auf die Leinwand setzte, sah es bloß wie ein helles Rosa aus - verblüffend! Damals hatte ich kaum Freizeit, da ich dieses Doppelstudium in Angewandter Physik und Kunst betrieb, doch je mehr Kunst ich machte, desto mehr wollte ich schaffen!

Woher kam das?
Nun, ich entdeckte, dass Malen eine Art der Kommunikation mit anderen Menschen ist. Und dieser Gedanke führte mich in die Richtung, in die ich fortan gehen wollte; ich wollte aus dem Malen meine Berufung machen. 

Im College kombiniertest du Physik mit Kunst: Was haben diese beiden gemeinsam?
Ich denke, dass es da eine Verbindung gibt. Es ist wie eine Aufgabe, speziellen Dingen über lange Zeit in der Tiefe nachzuspüren, und wenn du an frühere Zeiten denkst, dann waren die Künstler Wissenschaftler! Heute ist es wahrscheinlich anders, aber wir bräuchten definitiv mehr Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Disziplinen. Die Wissenschaft kann gut spezifische Fragen stellen, doch die Kunst ist besser darin, auf jene Fragen zu kommen, die man nicht wirklich eingrenzen kann. Einstein war zum Beispiel jemand, der extrem kreativ in seinen Entdeckungen war. Und er hatte sogar eine Art Geh-Übung, um sein Denken zu stimulieren! Er wollte sich selbst genug Raum für Einfälle lassen.

Von Einsteins zu deinem Arbeitsprozess – wie kann man sich ihn vorstellen?
In der ersten Phase notiere ich viel, zeichne, sammle unterschiedliche Art an Material und Oberflächen.  Ich weiß, dass mich etwas interessiert, wenn es mir wie ein unlösbares Puzzle vorkommt! Wie ein Art Phänomen, über das ich ständig nachdenke, und das mich nicht loslässt, obwohl ich es nicht verstehe.

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Ist das die Physikerin in dir?
Ja, aber es geht auch darum, einer Erinnerung nachzuspüren. Anfangs weiß ich noch nicht, worum es genau geht, aber die Physikerin in mir sagt: Ich schreibe mal eine visuelle Form der Erinnerung in verschiedenen Iterationen auf, auf unterschiedlichen Oberflächen, und dann zeichne ich sie, studiere sie, bis ich sie endlich lokalisiere und verstehe, was diese Erinnerung ist. 

Fast wie ein Experiment in einem Labor!
Ja. Ich überlege mir dann die Farbpalette, die mich interessiert, die Motive, die Formen, und entwickle die Idee eines Ortes oder einer Erinnerung. Von da aus kontextualisiere ich diese Erinnerungsteilchen. Das ist das, was ich als Schichtung von Bedeutung empfinde.

Zeichnest du zuerst oder gehst zu gleich zur Leinwand?
Beides. Manches passiert gleich auf der Leinwand. Aber weil Ölfarben ziemlich lange zum Trocknen brauchen, und mich Farbe fasziniert, beobachte ich das Bild, und fertige daneben Zeichnungen an. Ich mag es, ein Gemälde runterzunehmen und trocknen zu lassen, ein anderes an die zu Wand hängen… Ich arbeite an einigen Bildern gleichzeitig, und bewege sie im Studio herum. Wenn ich male, liegt die Leinwand flach am Boden, und wenn ich zeichne, hängt sie an der Wand.

So geht es zwischen dem Malen und Zeichnen hin und her?
Ja, bis ich das Gefühl habe, genug Material zu haben. Zuerst möchte ich ja die Erinnerung festhalten, an die ich anfangs dachte, aber gleichzeitig möchte ich dokumentieren, was währenddessen in meinem Atelier geschieht.

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Welche Farben benützt du? 
Nur Ölfarben, in allen Farbtönen. Auch da hat mich die Wissenschaft beeinflusst, weil ich mich sehr mit den Oberflächen beschäftigt habe, die sich aus Ölfarben ergeben. Ich verdünne die Farbe mit Mineral Spiritus oder Leinöl, ich dehne sie aus, sodass sie manchmal wie Samt aussieht, oder satt und optisch aufregend… Ich liebe es, eine ganze Reihe an Oberflächen zu haben. 

Fotos können das Besondere an deiner Arbeit angeblich nicht vermitteln– stimmt das?
Meine Gemälde sollen in der Wirklichkeit wahrgenommen werden. Ich denke, dass sogar ein gutes Foto nur die Wiedergabe eines individuellen Blicks in einem spezifischen Kontext ist. Es ist Absicht, dass Teile in meiner Malerei unterschiedlich wirken, manche treten vor, manche zurück. Wenn man um das Werk herumgeht, gibt es daher Momente der Entdeckung - und genau darum geht es für mich in der Malerei.

Weil deine Malerei niemals flach ist?
Genau. Überlegen wir mal, wie Licht funktioniert: Es reflektiert im rechten Winkel. Wenn du um ein Gemälde herumgehst, wirst du unterschiedliche Stellen an der Oberfläche sehen. Das gilt natürlich für jede Malerei, aber ich arbeite ganz bewusst damit. Unterschiedliche Aspekte treten hervor. Es ist ein wenig, als würde ich ein Hologramm erstellen; das ist jedenfalls der Effekt, den ich erzielen will. 

Ist das auf eine Art dein Beitrag zur Geschichte der Malerei?
Das denke ich doch. Ich weiß, dass, wenn ein Werk mein Studio verlässt, es in unterschiedliche Umgebungen kommt. Ich werde dort die Beleuchtung nicht kontrollieren können, es könnte in einem düsteren Gang oder neben einem Fenster hängen, oder in einem Museum. Und ich mag diese Variabilität, diesen Gedanken, dass das Werk anders aussehen wird, je nachdem, wo es hängt. 

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Du malst in Werkgruppen - haben diese eine gemeinsame Botschaft?
Ja, ich denke doch, dass es Dingen gibt, die sich von Werkgruppe zu Werkgruppe wiederholen. Doch meine Farbpalette hat sich geändert. Ganz langsam, aber vor zehn Jahren etwa verwendete ich dunkle, düstere Farben, und heute ist es das ganze Spektrum! Ich bin immer noch dabei, diese Sprache selbst zu lernen, aber da ist eine Art an Dynamik, die sich von einer Gruppe zur nächsten zieht. 

Und immer von einem Narrativ zusammengehalten wird, stimmt’s?
Ja, da gibt es definitiv Gemeinsamkeiten. Und wenn jemand mein Werk verfolgt, dann sieht er das auch. 

Wie weißt du, dass ein Gemälde fertig ist? Sagt es dir das?
(Lacht.) Eigentlich ja. Aber es gibt doch auch einige faktische Aspekte! Ich will, dass das Werk eben Aspekte der Veränderung festhält. Ich will, dass es jene Entdeckungen teilt, die ich möglicherweise hatte, als ich das Bild malte. Ich will, dass das Bild Wesen, Materie in sich trägt. Und dann gibt es noch eine ganze Reihe an technischen Tricks, die ich beachte, um das möglich zu machen!

Du sagtest: “Ich bin dann fertig, wenn die Oberfläche sich fast unheimlich anfühlt und das Bild sich schnell lesen lässt.“ Irgendwie glaube ich das aber nicht, dass man deine Bilder „schnell“ lesen soll?
Du kannst sie schnell ansehen, aber du wirst sie so nicht verstehen. Es ist relativ. Ich muss diese Bilder so komponieren, dass ich Gestalt hineinlegen kann. Denn wenn es nicht zu diesem Punkt kommt, dann bleibt ja bloß ein Haufen Striche auf einer Leinwand übrig (lacht). 

Was bedeutet: Wenn du kein Motiv, Narrativ oder keinen Gedanken hinter diesem Haufen an Strichen hast, dann ist es nicht mehr als das. Und erst da kommt dann die Kunst dazu, stimmt’s?
Ja.

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Wenn wir schon über Narrativ sprechen: Du bist eine begeisterte Leserin. Du widmetest sogar eins deiner Bücher Dorothea Causabon, einer Protagonistin in George Elliots Middlemarch…
Ich liebte sie, ich identifizierte mich mit ihr. Ich war so begeistert davon, wie lebendig Elliots Protagonisten waren. Das ist ohnehin das Ideal jedes Künstlers: eine Umgebung zu schaffen, die vollkommen lebendig ist. Und Middlemarch inspirierte mich stark.

Würdest du sagen, dass du deine Gemälde lebendig machst?
Das hoffe ich, das ist das Ideale.

Würdest du deine Werke vielleicht sogar als Figuren bezeichnen?
Das tat ich teils ich zu dem Zeitpunkt, als ich das Dorothea Buch entwarf. Ich dachte an unterschiedliche Arten der Malerei, und was diese zum Leben beitragen könnten. Du kannst etwas malen, das sehr ruhig ist, und dich einfach begleitet. Und du kannst etwas malen, das sehr fröhlich, überschwänglich ist, oder laut und provokativ. Ich versuchte, Malerei zu machen, die mit diesen Rhythmen mitschwingt, wie einzelne Charaktere. 

Das muss ich jetzt aber doch fragen – was kann ein Gemälde zum Leben beitragen?
(Lacht.) Nun, das ist doch die Frage hinter jedem Gemälde, und jedes meiner Werke ist eine Art Antwort darauf. Ich glaube nicht, dass ich dafür Worte habe.

Aber wahrscheinlich einen Pinsel!
Stimmt!

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Gibt es ein anders Buch oder Objekt, das dich inspiriert?
Ich habe einiges gesehen, das sich auf mein Werk auswirkte. Zum Beispiel Piero della Francescas „Brera Madonna“ in der Pincatoca di Brera in Mailand. Bevor ich es sah, hatte ich bereits das Farbenspektrum in meiner Malerei erweitert, und dachte über Spannung in Gemälden nach. Und dann sah ich das! Die Protagonisten interagieren emotional, und das Licht ist kühl, dank heller Gelb- und Blautöne. Das Gemälde gibt die Thesis einer Vision wieder, und hat gleichzeitig diese Hitze in der Erzählung.

Du machst mir Lust, es anzusehen!
Es ist so stark! Ich sah es zum ersten Mal 2022, und seitdem denke ich daran. Dieser Gedanke des kühlen Lichts und der Hitze ist wichtig in meinem Werk. Und danach tauchte ich wieder tief in die Impressionisten und Post Impressionisten ein…

Also zurück nach Paris!
Ja. Monets Wasserlilien, und wie er in seinen späten Werken so aggressiv malt, das fasziniert mich. Er achtet überhaupt nicht mehr auf die Oberfläche. 

Du sprichst von den monumentalen Wasserlilien im Orangerie Museum?
Ja, genau. Ich bin fasziniert, wie Monet manche Partien des Wassers vertikal malt, und die Blumen und Wolken horizontal, wie es heute niemand machen würde. Ein Teil von mir versucht, Dinge wie diese umzusetzen; Direktionalität interessiert mich.

Du schriebst auch über den Unterschied, die Arbeit von Monet live zu sehen, während man gleichzeitig damit doch so vertraut ist, dank all der Fotos, die man bereits gesehen hat…
Das beschäftigt mich schon lang. Was sind diese Oberflächen, die wir fühlen, mit denen wir uns beschäftigen? Und seit kurzem interessiert mich Seurat. Er war von der klassischen Malerei stark beeinflusst, hat sich mit dem Blick, mit Stasis und Beschäftigung auseinandergesetzt. 

Du sprichst von Oberflächen, die wir nicht vergessen können…
Und was passiert, wenn wir sie wirklich ansehen!  Ich las vor kurzem ein Buch von Sebastian Smee darüber, wie die Impressionisten in der Zeit des Pariser Belagerung 1870 bekannt wurden, als die Stadt von deutschen Streitkräften überfallen wurde. Was bedeutet, dass jene Bilder, die wir heute als idyllisch lesen, in einer Zeit der Tumulte entstanden.

Was eine Beschreibung der Situation in den USA heute sein könnte?
Ja. Das Buch fühlte sich voraussehend an. Und ich denke, dass sich Leute in Zeiten der Unsicherheit und des Stresses an Landschaften und Kunst erfreuen. 

Ich hörte kürzlich, dass Kunstschaffende in schwierigen Zeiten „sichere“ Kunst machten. Stimmst du zu?
Das ist eine komplizierte Dynamik! Da gibt es wohl diese Versuchung auf Seiten von Galeristen, die glauben, „sichere“ Werke würden mehr Unterstützung bekommen. Aber ich bin nicht einverstanden. In schwierigen Zeiten kämpft die Kunst, die mich interessiert, mit strukturellen Herausforderungen, mangelndem Budget… Wir müssen vielleicht kleiner arbeiten, aber es muss deshalb nicht „sicher“ sein. Es kann Schönheit und Dringlichkeit und Kraft darin liegen, nur mit dem zu arbeiten, was man bei der Hand hat. Einschränkungen können unglaubliche Beschleuniger sein, um tolle und starke Kunst zu schaffen.

Was sind deine nächsten Projekte?
Meine Frühlingsshow “Gems and Roses” findet in der New Yorker Broadway Gallery bis Ende Mai statt, und danach eröffnet eine Schau mit Zeichnungen in der Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder. Und ich arbeite an einem Buch mit der Künstlerin Carmen Argote.

Caitlin Lonegan, Untitled (G.Y.R.B.V., gest, field, grid, F-B, can, 2025.04), 2025, oil, metallic oil on canvas, 48 x 48 x 1 1/2 inches, Artwork © Caitlin Lonegan, Courtesy Caitlin Lonegan and Broadway Gallery. Photography: Jeff Mclane

Caitlin Lonegan, Untitled (O.G.B.G.R.Y., Seur, Mo, F-B, lin, 2025.03), 2025, oil, metallic oil on linen, 28 x 32 x 1 1/2 inches. Artwork © Caitlin Lonegan, Courtesy Caitlin Lonegan and Broadway Gallery.  Photography: Jeff Mclane

Installation View, hot, clear, scratchy, soft, 2022, Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder, Vienna. Artworks © Caitlin Lonegan, Courtesy Caitlin Lonegan and Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder. Photography: Markus Wörgötter

Installation View, hot, clear, scratchy, soft, 2022, Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder, Vienna. Artworks © Caitlin Lonegan, Courtesy Caitlin Lonegan and Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder. Photography: Markus Wörgötter

Interview: Alexandra Markl
Fotos: Cody James

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