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Kasper Sonne, Brooklyn, NYC

In the Studio

»Ich will keine Aktie sein, die aus reiner Profitgier gehandelt wird.«

Kasper Sonne gehört zu den Namen, die ganz plötzlich durch das World Wide Web in der Kunstwelt auftauchten. Der dänische Künstler, der in Brooklyn, New York lebt und arbeitet, wurde durch seine eindrucksvollen, mit Feuer und Chemikalien behandelten Leinwände bekannt. Wir saßen mit dem aufsteigenden Star zusammen und sprachen über seinen plötzlichen Ruhm, seine Wurzeln, seinen Widerwillen, den „Markt zu füttern“ wie er es nennt, und über die destruktiven und polarisierenden Kräfte, die sein Werk charakterisieren.

Kasper, du hattest in den letzten Jahren viele Einzelausstellungen und bist plötzlich –besonders im Internet – auf den Radarschirmen vieler Sammler aufgetaucht. Wie hat alles begonnen?
Meine erste Einzelausstellung hatte ich 2002, zehn Jahre vor meinem späteren Erfolg. Das heißt, ich habe lange Zeit gearbeitet und ausgestellt, ohne je etwas verkaufen zu können. Ich musste meinen Lebensunterhalt mit anderen Arbeiten als meiner Kunst verdienen. Und das Merkwürdigste war, mir anfänglich nicht einmal bewusst, dass ich Aufmerksamkeit erhielt. „Borderline“ war die erste Serie, die auf dem Markt durchschlug. Ich hatte sie 2009 hergestellt, damals hat niemand sie beachtet. Erst als jemand meine Arbeiten im Internet als prozessbasierte Abstraktionen bezeichnete, wurden sie bekannt.

Es muss merkwürdig gewesen sein, so plötzlich im Rampenlicht zu stehen? Wie hast du auf diese neue Situation reagiert?
Als ich plötzlich die Aufmerksamkeit erhielt, auf die ich so lange sorgsam hingearbeitet hatte, konnte ich sehr schwer nein sagen. Es gab jedoch einen Punkt, an dem ich mich überverpflichtet hatte und sich meine Arbeit ein wenig wie Fabrikproduktion anfühlte. Ich hatte einen strengen Zeitplan vor mir, der bestimmte, wie viele Arbeiten jede Galerie haben wollte, weil so viele Sammler danach fragten. Immer wenn ich ins Atelier kam, schaute ich auf die Liste und wusste, was ich produzieren musste. Ich war Künstler geworden, weil ich einen inneren Drang verspüre und gerne Dinge herstelle. Aber so wollte ich nicht weiterarbeiten, es kam der Punkt, da konnte ich keine Ausstellungen mehr für fünf Galerien gleichzeitig machen. Es fühlte sich an, als würden fünf Freundinnen gleichzeitig um meine Aufmerksamkeit kämpfen. 

Dann hast du dich entschieden, nicht mehr für die Galerien zu arbeiten, mit denen du Ausstellungen gemacht hattest. Was hat dich veranlasst, einen so drastischen Schritt zu tun?
Es war zu allererst eine ganz persönliche Entscheidung, weil ich das Gefühl hatte, dass wir nicht die gleichen Ziele verfolgten. Die Beziehung zwischen Künstler und Galerist ist eine sehr persönliche, fast wie eine Ehe. Sie involviert sehr viel Vertrauen. Vor der Ehe liegt eine Zeit, in der man sich kennenlernt, und wenn das gut geht, dann zieht man vielleicht zusammen, heiratet später und bekommt Kinder. Ich habe zu den Galerien, die mit mir Ausstellungen arrangieren wollten, gesagt: „Okay, lassen Sie uns ein Projekt zusammen machen und sehen, was dabei herauskommt.“ 

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Und dann bist du gegangen, weil du noch nicht bereit dazu warst, dich festzulegen? 
Ich habe ein klares Ziel vor Augen: Ich möchte eine lange Karriere haben. Ich bin nicht daran interessiert, viele Arbeiten zu verkaufen und schnell Geld zu machen. Deshalb ist mir das gute Management der Galerie so wichtig. Ich suche eine langjährige Beziehung mit Engagement, gegenseitigem Verständnis und Respekt. Natürlich kommt auch die Persönlichkeit ins Spiel. Ich bin Skandinavier, also sehr organisiert und pünktlich. Diese Charakterzüge sind integraler Bestandteil der Gesellschaft, in der ich aufgewachsen bin. Das heißt, ich muss mit jemandem arbeiten, der auch nach diesen Grundsätzen handelt. Wenn meine Emails nicht rechtzeitig beantwortet werden, habe ich das Gefühl, nicht respektiert zu werden. 

Aber kämpfst du nicht darum, dein Publikum zu erreichen, seit du keine Ausstellungen mehr mit Galerien machst?
Ich habe das Glück, eine Gruppe sehr finanzkräftiger Sammler zu haben, die direkt von mir kaufen. Außerdem arbeite ich mit ein paar vertrauenswürdigen Beratern zusammen. Meine Arbeiten verkaufen sich sehr gut. So finanziere ich momentan mein Atelier. Meine einzige Sorge ist, eines Tages eine Ausstellung machen zu müssen. Ich mache nicht nur Kunst, um sie direkt zu Sammlern zu schicken. Für mich ist meine Arbeit eine Art, mit der mich umgebenden Welt zu kommunizieren und Teil dieser Welt zu sein. Wenn ich keine Ausstellung mit einer der Galerien, die mir eine Show anbieten machen will, dann muss ich mir etwas anderes einfallen lassen.

Du sagst, dein Ziel ist nicht, möglichst viel Kunst zu verkaufen. Das wird einigen als merkwürdiges Statement erscheinen. 
In den letzten Jahren war die Nachfrage nach meinen Arbeiten übertrieben. Ich musste sie zurückfahren und langsamer arbeiten um sicher zu stellen, dass sie nicht einfach an alle bekannten Investoren und Flipper gehen. Darum tauchen, verglichen mit anderen Künstlern meiner Generation, so wenige meiner Arbeiten in Auktionen auf. Mir ist klar geworden, dass ich, obwohl ich der Gruppe der aufsteigenden Künstler zugeordnet werde, älter als die meisten von ihnen bin. Ich hatte eine längere Karriere außerhalb des Kunstmarktes und fand auf diesem Wege heraus, was ich wollte: eine kontinuierlich fortschreitende Karriere.

Einst war es Aufgabe einer Galerie, die Karriere eines Künstlers wie du sie beschreibst strategisch zu managen.
Für mich ist diese ursprüngliche Idee, dass Galerien die Karrieren von Künstlern fördernd begleiten, die ideale Situation. Ich habe meine Galerien nicht verlassen, weil ich keine Galerierepräsentation haben wollte. Die Galeristen, mit denen ich gearbeitet habe, waren jung und unerfahren. Eigentlich war ich ihr Mentor und musste ihnen sagen, was sie zu tun hatten und was nicht. Ich wäre lieber in der umgekehrten Situation gewesen, in der die Galerie sicherstellt, dass meine Arbeiten nur an ausgesuchte Sammler verkauft und sorgfältig in bestimmte Institutionen platziert werden. Eine Galerie sollte eine Ausstellung nicht in fünf Minuten an Leute verkaufen, die sie durch Artsy kontaktiert haben, nur weil sie dies können. Ich würde diese Überlegungen gern der Galerie überlassen, damit ich in meinem Atelier sein und arbeiten kann.

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Mir scheint, du wünscht dir, dass deine Arbeiten in verantwortungsvolle Hände gelangen. So etwa wie jemand, der seine Katze verkauft sich wünscht, dass sie in ein gutes Zuhause kommt. Darf ich diesen Vergleich machen?
Ich verstehe deinen Vergleich vollkommen. Ich nehme es sehr persönlich, wenn jemand mir sagt, wie schön meine Arbeiten sind und sich dann umdreht und sie in einer Auktion für Profit verkauft. Natürlich nehme ich es nicht übel, wenn jemand, der meine Arbeit mochte, über die Jahre seinen Geschmack ändert oder seine Sammlung verkleinern muss oder sie verkauft, weil er oder sie etwas anderes kaufen möchten. Ich liebe Kunst und nehme meinen Beruf sehr ernst, daher möchte ich nicht, dass meine Arbeiten wie Aktien für reinen Profit gehandelt werden.

Es scheint als wolltest du jungen Künstlern raten, der Versuchung des Marktes zumindest für kurze Zeit zu widerstehen. 
Ganz sicher! Ich glaube es gibt Fälle, in denen Künstlerkarrieren wegen Überproduktion, schlechtem Management und gewissen, so genannten Händlern und Sammlern zerstört wurden. Und ich verstehe die Versuchung voll und ganz. Stell dir vor, du verlässt hier in den USA die Kunstakademie mit mehreren Hunderttausenden Dollar Schulden und jemand bietet dir 50,000 Dollar für hundert Gemälde an. Was machst du dann? Du weißt, es ist ein schlechter Deal, aber gleichzeitig reduziert er deine Schulden auf die Hälfte und darüber hinaus erzählt man dir, du bist unglaublich!

Du lebst und arbeitest in New York, aber du wurdest in Dänemark geboren und bist dort aufgewachsen. Was hat der Umzug in die USA für dich als Künstler bedeutet?
Schon als Teenager wollte ich immer in New York leben. Ich habe Dänemark nie als Heimat empfunden und so, wie New York in der populären Kultur portraitiert wurde, erschien es mir als ein Ort, an dem für jeden Platz ist. Du kannst aussehen und dich benehmen wie du willst, ohne dass jemand sich daran stört. Die Leute bewundern dich vielleicht sogar, weil du anders bist! Die Vorstellung, dass ich sein konnte wie ich wollte, hat mich an New York angezogen. Dänemark dagegen ist ein kleines Land, in dem du nicht allzu weit von der Norm abweichen kannst, wenn du nicht negativ wahrgenommen werden willst. 

Du würdest dich also nicht als skandinavischer Künstler bezeichnen, obwohl du in Dänemark geboren wurdest und dort studiert hast?
Nein, das würde ich aus zwei Gründen nicht: Erstens, weil ich nie für Dänemark ein Heimatgefühl empfunden habe und zweitens, weil ich dort nicht wirklich Kunst studiert, sondern die Hochschule für Design besucht habe. Als ich begann, meine Kunst in Dänemark zu zeigen, wurde die Tatsache, dass ich nicht an der Hochschule für Bildende Kunst studiert hatte, in der Kunstszene wahrgenommen und man behandelte mich als Außenseiter, der vorgibt Künstler zu sein. Darum habe ich mich nie wirklich mit der skandinavischen Kunstszene identifizieren können. Ich bin nicht einmal sicher, ob es noch so etwas wie eine „dänische Kunstszene“ gibt. Als ich Dänemark vor zwölf Jahren verlassen habe, konnte man noch eine Karriere durch das staatliche Stipendiensystem und durch lokale Museen und Galerien machen. Aber jetzt haben alle nur noch das Ziel, sich auf internationalen Ausstellungen zu präsentieren. Die ganze Szene hat sich sehr globalisiert.

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Warum hast du damals entschieden, erst Design statt Kunst zu studieren?
Ich habe einen sozialistischen Familienhintergrund. Meine Eltern haben mich dazu erzogen, einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Meine Schwester ist Krebsforscherin, meine Mutter war Lehrerin für Sonderpädagogik und ist jetzt Therapeutin, mein Vater setzte sich für Jugendprogramme zur Förderung behinderter Kinder ein. So hatte sich in meinem Kopf die Vorstellung festgesetzt, dass es eine antisoziale und egoistische Entscheidung sei, Künstler zu werden. Aber ich habe nie daran gezweifelt, etwas Kreatives machen zu wollen. Erst wollte ich Karikaturist werden, weil ich gerne zeichne und Geschichten erfinde. Ich hatte sogar eine Absprache mit meinem Lehrer, die mir erlaubte, auf meinem Pult zu zeichnen, denn er hatte festgestellt, dass ich so aufmerksamer war. (lacht) Letztendlich ging ich davon aus, dass Designer kreativ sind und der Gesellschaft als Problemlöser dienen.

Dennoch überwog dein Wunsch Kunst zu machen. Warum?
Einerseits verstieß ich mit dem Egoismus, Künstler zu werden gegen meine Erziehung. Andrerseits hatte ich das Gefühl, in einer normativen Gesellschaft so am ehesten zu Autonomie zu kommen. Ich wollte Künstler werden, um in meiner eigenen kleinen Welt in Ruhe gelassen zu werden. Für mich ist Kunst so etwas wie ein Zufluchtsort, ein Ort an den ich gehen kann, um ich selbst zu sein. Ein Künstler kann immer noch Teil der Gesellschaft sein, aber er lebt sicherlich an ihrem Rand und hat dadurch die Möglichkeit, die Gesellschaft zu kommentieren. Man erwartet geradezu, dass er sie in Frage stellt.

Lass uns über die Serie „Borderline“, eins der bekanntesten Teile deines Werks, sprechen, in der du deine Leinwände mit Feuer bearbeitet hast. Wie hast du dein erstes Gemälde angezündet? Gab es ein Gemälde, das du verbrennen wolltest? Oder kam die Idee, Feuer an ein Gemälde zu legen, zuerst?
Der Ausgangspunkt war sicher kein Gemälde, dass ich vernichten wollte, sondern es war eine rein konzeptuelle Idee. Eine meiner ersten Inspirationen war der Gedanke, dass wir gerne alles in Kategorien einteilen und Welt und Leben im Allgemeinen durch Gegensätze erfahren. Mich haben Konflikt und Polarisation schon immer interessiert. Und je älter ich werde, desto mehr erkenne ich, dass dies vielleicht damit zu tun hat, dass ich als junger Mann nicht der war, der ich sein wollte. In Bezug auf diesen Teil meiner Arbeit war die Idee, zuerst so etwas wie ein perfektes monochromes Gemälde zu malen, in dem ich fünf Schichten Industriefarbe mit einem Roller auf die Leinwand auftrage, um dann das komplette Gegenteil zu machen: es mit einem Gasbrenner anzuzünden. Und was nach dem Anzünden übrig bleiben würde, würde das Gemälde sein. 

Welche Gegensätze hattest du bei der Erstellung solcher Arbeiten im Auge?
Teile der Gemälde waren verbrannt, andere Teile dagegen waren perfekte monochrome Gemälde. Das öffnete für mich einen Raum zwischen verschiedenen Gegensatzpaaren: das Perfekte and das Imperfekte, Kontrolle und Zufall, Schöpfung und Zerstörung. Mich interessierte herauszufinden, was geschieht, wenn zwei bekannte Gegensätze miteinander verbunden und ihnen der gleiche Raum gegeben wird. Was geschieht, wenn man als Zuschauer eintreten und entscheiden muss, weil kein Objekt mehr eindeutig ist, wenn etwas zwei Dinge gleichzeitig sein kann?

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Ich finde die Art und Weise, in der das verbrannte Loch die Struktur der Leinwand und der Wand hinter dem Gemälde freilegt, sehr interessant. Es ist fast wie ein Fenster. 
Mir gefällt diese Vorstellung. Rahmen und Wand sind Elemente, die normalerweise nicht zu einem Gemälde gehören, deshalb könnte man auch argumentieren, es handle sich um eine Skulptur. Ich versuche meiner Arbeit gegenüber Offenheit zu bewahren. Ich möchte nicht didaktisch sein und verfolge auch keine spezifische Agenda, sondern ich wünsche mir, dass die Menschen glauben. Deshalb stelle ich lieber Fragen als Antworten zu geben. Was immer die Betrachter in meine Arbeit hineinlesen, ist die richtige Antwort. Wer in Kunstgeschichte gut bewandert ist, kann auf Lucio Fontanas oder Yves Kleins gebrannte Gemälde verweisen, wenn er über meine Arbeit spricht. Aber ich habe auch mit jemandem gesprochen, den meine Gemälde an die brennenden Kreuze des Ku Klux Klans oder an Satanismus erinnern. Das ist sehr interessant für mich, denn es bedeutet, dass jemand etwas in meine Arbeit hineinliest, was auf eigenen Erfahrungen beruht und nichts mit mir zu tun hat. 

Du hast deinen Arbeitsprozess an der „Borderline“-Serie als so etwas wie eine Rebellion gegen die perfekte Oberfläche beschrieben. Gibt es dir eine gewisse Befriedigung, Feuer an diese Leinwände zu legen?
Ich glaube, hier befasst sich meine Arbeit ganz spezifisch mit mir und meinen inneren Konflikten. Ich würde sogar behaupten, dass die meisten Menschen aus sehr verschiedenen Persönlichkeiten bestehen. Wir sind alle viel komplexer als uns die Gesellschaft zu sein erlaubt. Natürlich empfinde Genugtuung, wenn ich ein perfektes monochromes Bild male. Ein Teil von mir ist sehr linear und konformistisch. Aber ich hasse diesen Teil auch, hasse diese Starrheit, Kontrolle und das genaue Wissen dessen, was passieren wird. Nach der langweiligen Arbeit des Malens belohne ich mich mit dem Spaß, das Geschaffene zu zerstören. Es wäre für mich nicht interessant, wenn ich die volle Kontrolle hätte und wissen würde, was am Ende genau herauskommt. 

Du hast nicht nur mit Feuer, sondern auch mit Chemikalien gearbeitet. War die Produktion der „TXC“-Serie sehr anders als die der „Borderline“-Serie?
Obwohl der Prozess anders war, verfolgte ich das Konzept wie bei der „Borderline“-Serie. Gleichzeitig war es ein Weg, sich dem perfekten monochromen Gemälde widersetzen und den Konflikt zwischen Kontrolle und Zufall, Erstellung und Zerstörung auszuloten zu können. Die direkte Negation des Malens ist, Farbentferner über die Leinwand zu gießen. Das habe ich getan. Ich habe mit verschiedenen Chemikalien experimentiert, von denen ich einige sicherlich nicht hätte benutzen sollen. Letztendlich entschied ich mich für ein reines Bleichmittel, weil es verschiedene interessante Farbveränderungen erzeugte und nicht zu toxisch war. 

In welchem Zusammenhang stehen die „Borderline“- und die „TXC“-Serie mit deinen Videoarbeiten, die auf den ersten Blick sehr anders wirken? Oder sind es völlig getrennte Teile deines Kunstschaffens?
Ich sehe sie nicht als getrennte Arbeiten, weil ich weiß, dass sie aus derselben Quelle stammen. Wie meine anderen Arbeiten befassen sich auch die Text-basierten Videos alle mit Negation und Opposition. Ich visualisiere Behauptungen, die eine Art Wahrheit vermitteln, und zugleich negiert der nächste Satz das, was der vorhergehende ausgesagt hat. Das beweist für mich, dass alles eine Sache von Kontext und Interpretation ist. Was wir als Wahrheit wahrnehmen, wird möglicherweise nicht als solche erfahren. 

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Ein Großteil deiner Arbeiten ist sehr physisch. Ein anderer Teil ist intellektueller und konzeptueller. Wie bringst du diese Gegensätze in Einklang?
Ich habe ganz sicher ein Bedürfnis, Arbeiten auf eine sehr physische Art und Weise herzustellen. Das trifft besonders für die „Borderline“- und „TXC“-Serien sowie für die Skulptur Body Parts, für deren Herstellung ich Tonerde mit Händen und Füßen behandelt habe, zu. Gleichzeitig habe ich das Verlangen, meinen Arbeiten einen großen konzeptuellen Rahmen zu geben. Body Parts besteht nicht nur aus negativen Abdrücken des menschlichen Körpers, sondern steht im Gegensatz zur klassischen Skulptur. Ich verwende oft auch Sprache in meinen Arbeiten. Sprache ist ein so mächtiges Instrument, die Aufmerksamkeit der Menschen zu erregen und sie über Dinge nachdenken zu lassen. Das gilt auch für die Titel meiner Arbeiten. Ich habe den Titel „Borderline (New Territory)“ gewählt, weil der Akt, etwas anzuzünden, einerseits etwas Grenzwertiges hat. Andrerseits haben die Brandlöcher die Form neuer fiktiver Länder, neuer Grenzen. Auf diese Weise integriere ich Text in meine Arbeiten ohne text-basiert zu sein.

Heißt das, dass die physischen und konzeptuellen Aspekte deiner Arbeit aufeinander bezogen sind? Beginnst du mit einem vorher ausgearbeiteten Konzept oder mit Experimentieren?
Ich stehe niemals einfach vor einer leeren Leinwand und beginne etwas zu tun. Selbst wenn ich etwas ausprobiere, habe ich eine Vermutung, was passieren könnte. Darüber hinaus vernichte ich die Hälfte der Arbeiten, die ich mache, weil das Ergebnis entweder nicht interessant war oder die zugrundeliegende Vorstellung nicht ausreichte, das Ergebnis zu stützen. Ich denke, es ist nicht allzu schwer, ein schönes Bild zu malen. Aber ein interessantes Bild zu malen, ist schwer. Ich mag keine Kunst, die nur gut aussieht. Unsere Welt ist ziemlich beschissen, vielleicht braucht man deshalb Schönheit und schöne Dinge. Aber ich finde das nicht interessant. Ich liebe Kunst, die mich provoziert und mir die Augen für Dinge öffnet, auf die ich noch nicht gekommen bin, Kunst, die einen Prozess des Nachdenkens in Gang setzt über Dinge, die ich nicht verstehe, macht mich froh.

Du arbeitest in verschiedenen Medien, produzierst Gemälde, Skulpturen und Videos. Identifizierst du dich mit einem Medium besonders?
Ich habe mich mein ganzes Leben bemüht, aus Kategorien auszubrechen. Ich habe das starke Bedürfnis, alle Aspekte meiner Existenz zum Ausdruck zu bringen und nicht nur einen besonderen Teil, denn ich bin Maler und Bildhauer. Ich bin immer wieder erstaunt, wenn Künstler die gleiche Arbeit ständig wiederholen. Meine Theorie ist, dass sie sich sicher fühlen wollen. Aber für Künstler gibt es keine Sicherheiten, keine Garantien. Es wird einem nichts versprochen. Die meisten Künstler werden sich niemals von ihrer künstlerischen Arbeit ernähren können. Haben Künstler erst einmal etwas gefunden, womit sie Erfolg haben, haben sie oft Angst, aus dieser Form auszubrechen.

Heißt das, du arbeitest in viele verschiedene Richtungen, um dem Risiko, zu bequem zu werden und dich zu wiederholen, auszuweichen?
Ich denke reflexartig: „Wenn du dies haben willst, werde ich es dir nicht geben! Du erwartest das von mir? Ich tue es ganz sicher nicht!“ Das ist der Nonkonformist in mir, kann natürlich auch ziemlich kindisch sein. So war’s bei der „TXC“-Serie, sie waren meine beliebtesten Arbeiten, trotzdem entschied ich mich, keine weiteren zu machen. Der Hauptgrund: ich hatte keinen Spaß mehr an ihrer Herstellung, weil ich alles herausgefunden, was ich herausfinden wollte. Ich hatte ihren Herstellungsprozess gemeistert und mir war klar geworden, was ich tun konnte und was nicht. Ich hatte den Prozess zu gut kontrollieren können. Das Malen, das Ausgießen der Chemikalien, die Entscheidung, welches Stück fertig ist, die Fotografie der Arbeiten, die Email-Nachricht an die Galerien, die Antwort über den Verkauf der Arbeit – es war ein langweiliger Prozess. 

Ich kann verstehen, warum du da rauskommen wolltest. Aber war es nicht auch hart, ein derart erfolgreiches Projekt aufzugeben?
Damit aufzuhören, dass herzustellen, was alle wollte, habe ich mich entschieden gegen die Logik des Marktes gestellt. Ich wollte damit sagen: „Fickt mich, ich werde den Markt nicht bedienen!“ Natürlich ist es toll, Geld zu verdienen, da ich damit mein Atelier unterhalten und als Künstler überleben kann, ohne Nebenjobs zu machen. Für mich hat Geld nur eine Bedeutung: die Freiheit zu tun, was ich tun will and nicht tun zu müssen, was andere von mir erwarten. So lange ich genug Geld habe zu tun was ich will, kann mich niemand dazu bringen, etwas anderes zu tun.

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Man kann deine Kunst als ziemlich dystopisch verstehen: Destruktion, Opposition, Polarisation – recht violente Themen! Sind deine Arbeiten ein Kommentar auf die gegenwärtigen Ereignisse? Ist deine Kunst politisch?
Ich sitze nicht herum und lese die Nachrichten, um Themen zu finden, die ich mit meiner Kunst kommentiere. Destruktion und Dystopie sind schon immer Themen meiner Arbeit gewesen, die Welt ist immer im Krieg. Man kann man natürlich argumentieren, dass ich von dem, was mich umgibt, beeinflusst bin. Schließlich bin ich ein Mensch mit politischen Überzeugungen. Zum Beispiel war ich nach dem Ergebnis der letzten amerikanischen Wahl am Boden zerstört, denn es ist ein Angriff auf all das, wofür ich nach New York ausgewandert bin. Das kann natürlich in meine Arbeit einfließen, aber ich kommentiere niemals spezifische Themen, ich verstehe mich nicht als politischer Künstler. Ich glaube Leute, die sich als politische Künstler verstehen, wären verstimmt, wenn ich das täte, weil ich kommerziell viel zu erfolgreich bin und gut aussehende Bilder male. Und das darf man nicht, wenn man politischer Künstler ist.

Was sagst du dazu, dass einige Leute dich in einer Reihe mit großen Namen wie Lucio Fontana oder Yves Klein sehen? Hat diese Verbindung für deine Arbeit Bedeutung oder ist sie eher eine Last?
Ich denke nicht an Kunstgeschichte. Sie ist nur eine weitere Schicht meiner Arbeit – nicht mehr und nicht weniger. Fontana befasste sich mit räumlichen Kompositionen und der Idee, den Raum hinter der Oberfläche freizulegen. Yves Klein machte diese abstrakten Formen, indem er Holz versengte, aber niemals mit einer unkontrollierten Feuerquelle. Indem ich etwas Perfektes mache und es dann ins Gegenteil verkehre, entsteht zwar ein Bezug zu ihrem Werk; aber ich gehe meinen eigenen Weg. So gesehen, kann die Kunstgeschichte eine Referenz für meine Arbeit sein, aber ich habe kein Interesse daran, Kunst über Kunst zu machen. Das ist zu eng für mich. 

Außer den schon erwähnten Künstlern gibt es noch andere, die dich und deine Arbeit inspiriert haben? Zu wem schaust du auf?
Ich mag eine Menge und sehr unterschiedliche Kunst und ich mag sie aus ganz verschiedenen Gründen. Wenn ich einen Künstler nennen sollte, den ich sehr bewundere, dann wäre es Bruce Naumann. Seine Arbeiten bleiben interessant für mich, weil er auf so unterschiedliche Art und Weise und mit unterschiedlichen Medien untersucht, was es heißt Mensch in dieser Welt zu sein. Aber ich kann auch stundenlang vor einem Gemälde von Mark Rothko. Für mich ist diese physische Erfahrung mit Kunst sehr wichtig. Unter den zeitgenössischen Künstlern habe ich höchsten Respekt vor Wade Guyton, der ganz erstaunliche, äußerst abstrakte Arbeiten macht und den digitalen Druckprozess auf ein neues Niveau hob. Seine Methode ist Teil seines Konzepts.

Sammelst du selbst auch Kunst?
Ich habe eine sehr begrenzte Sammlung, eine kleine Wade Guyton Edition zum Beispiel. Ich hatte das Glück, sie 2008 auf einer Kunstmesse zu kaufen. Sie gehört zu meinen Schätzen. Man sagte mir, dass sie hohe Preise auf Auktionen erzielt. Aber selbst wenn ich sie verkaufen würde, könnte ich mir heute keinen Wade Guyton leisten. Ich besitze auch eine Ugo Rondinone Edition: eine seiner Seven Magic Mountain -Skulpturen, die ich von einem Art Production Fund erwarb. Hätte ich mehr Geld, würde ich bestimmt mehr Kunst kaufen. Aber ich würde auch gern mit anderen Künstlern tauschen.

Du sagtest, du wolltest nicht lange immer dasselbe machen. Ich würde gern wissen, was du planst. Was kommt als nächstes?
Ich habe immer mit Dingen experimentiert, denn mein Atelier ist ein Ort totaler Freiheit. Wenn ich hierher komme, schließe ich die Tür und lasse die Außenwelt und ihre Erwartungen hinter mir. In meinem Atelier erlaube ich mir, viel zu experimentieren. Aber wie ich schon erwähnte: die Hälfte meiner Arbeit kann zu nichts führen. Konkreter: Ich beteilige mich an einer Gruppenausstellung, die im November in einem Berner Museum gezeigt wird. 2008 machte ich ein riesiges Schild für eine Hauswand mit der Aufschrift „Für immer bis zum Ende“. Sie wollen es reproduzieren und auf dem Dach des Museums anbringen. Das ist das Einzige, dem ich bis jetzt zugestimmt habe, weil ich den Augenblick, an dem ich in mein Atelier gehen und arbeiten kann, wirklich genießen möchte. 

An was arbeitest du gerade?
Zur Zeit arbeite ich an Gemälden mit vulkanischer Asche und seit kurzem versuche ich auszuloten, wie ich mit Farbe malen könnte. Seit einem Jahr habe ich auch an einer neuen Serie von Gemälden gearbeitet und erst jetzt bin ich mit den Ergebnissen zufrieden. Ich nenne diese neue Serie Holistic Paintings, weil ich Versatzstücke aus meiner Studienzeit an der Hochschule für Design wie Stoffe sowie Elemente aus meinen derzeitigen Arbeiten wie Brände und Materialien aus anderen Arbeitstypen, an denen ich im Studium arbeite, darin verarbeite. Das heißt sie bestehen im Wesentlichen aus Elementen aus meiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

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Interview: Gabriel Roland
Fotos: mit freundlicher Genehmigung von Kasper Sonne

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