Max Freund gibt sich nicht mit einem Ausdruck zufrieden, er zeichnet, malt, näht und collagiert. Gleichzeitig betreibt er mit Freund*innen einen Verlag, in dem er sein Interesse an druckgrafischen Techniken ausleben kann. In seiner Arbeit trifft figurative Malerei auf abstrahierte Formenspiele, beides ist ihm gleich wichtig. Seine Einflüsse kommen aus der Musik und Literatur; die Rhythmik dieser Künste setzt er in seiner Arbeit um.
Wie bist du zur Kunst gekommen?
Auf eine fast schon klischeehafte Art: Als Kind liebte ich Zeichnen und es machte mir Spaß, mich mit allen möglichen Materialien auszutoben, auch auf den Wänden zu Hause. Meine Eltern haben das Gekritzel im Vorraum nie übermalt! Doch obwohl mich Zeichnen und Malen immer interessierten, realisierte ich erst relativ spät, dass man es zu einem Beruf machen kann. Nach der Matura wurde ich dann auf der Universität für Angewandte Kunst in Wien aufgenommen. Es war mir immer klar, dass es keinen linearen Weg in der Kunst gibt, egal ob man studiert oder nicht, ob man es zum Beruf macht. Ich sehe das Experimentieren und das Wechseln zwischen bildgebenden Medien auch heute noch als treibende Kraft meiner Arbeit.
Man wird Künstler*in also nicht weil, sondern trotzdem?
Das stimmt!
Wie hast du das Studium erlebt?
Als sehr frei! Ich studierte in der Malereiklasse bei Judith Eisler. Ich konnte alles Mögliche auf der Uni ausprobieren, von Keramik, Siebdruck, Bildhauerei, Buchdruck bis hin zu Arbeiten im Öffentlichen Raum. Später kam ich dann aktiv zur Druckgrafik, und damit zu Büchern. Heute verlege ich Bücher in kleinen Auflagen: Das ist ein schönes Bindeglied zwischen der Welt der Malerei und der Zeichnung. Der Verlag heißt SOYBOT und konzentriert sich auf Risografiedruck. Es ist ein Gemeinschaftsprojekt mit Freund*innen, dass wir neben unserer eigenen Arbeit betreiben.



Was ist der rote Faden, der sich durch deine Arbeit zieht?
Auf jeden Fall die Zeichnung: Alles kommt aus der Zeichnung. Ich mag es, wenn man Linien oder grafische Elemente in die Malerei übersetzt und entfremdet. Die Malerei funktioniert in einer anderen Geschwindigkeit. Sie kann Linien zu Flächen machen und leichter mit Farbe, Textur und Größe spielen. Außerdem geht es mir immer um Zeit, um ein Festhalten davon. Das ist eines der schönsten Dinge, die in Malerei stattfinden kann. Das funktioniert in der Musik und Literatur ja auch großartig, Momente zu erzeugen, Zeit anzuhalten und imaginäre Räume zu öffnen, um unsere Realität zu erweitern.
Weil es Zeitpunkte festhält, in dem du an dem Bild gearbeitet hast?
Nicht nur. Es geht auch um den Zustand unserer Zeit als Gesellschaft. Das Bild, egal in welcher Erscheinungsform, ist wie ein Zeitspeicher, der einen durch Erinnerungen und Referenzen in verschiedene Zeiten schicken kann. Gefundene oder vorab bearbeitete textile Stoffe helfen sehr dabei finde ich, deswegen baue ich sie auch gerne in meine Arbeit ein. Die Zeichnung findet bei mir meistens sehr schnell statt, die Malerei ist ein wesentlich langwierigerer Prozess mit verstrickten Herausforderungen und hat damit eine andere Zeitform.
Zeichnest du deine Bilder vor?
Ganz unterschiedlich. Manchmal kommen die Motive direkt aus Zeichnungen. Aber es kommt eher darauf an, wie ich eine Idee übersetzen will: über ein Buch, Malerei, Stoffe… Ich kann mir so die Textur besser aussuchen. Ich mag es auch, wenn meine Bilder aussehen, als wären sie schnell und spontan gemalt. Wenn man sich ihnen aber nähert, erkennt man alle möglichen Prozesse, versteckten Informationen, malerischen Entscheidungen und Umwege. Es ist anziehend, mit der Haptik des Materials zu arbeiten, das zeigt, wie fragil unsere Umgebung und unsere Empfindung ist.



Abstrakte und figurative Malerei finden bei dir gleichzeitig statt?
Ja, das ist meistens so. Manchmal konzentriere ich mich mehr auf einen Gegenstand oder ein Fragment, manchmal vermische ich beides. Ob ich in ein Detail nochmal hineinzoomen möchte, hängt von meinem Interesse an den Formen oder Farben ab. Ich möchte weder auf Abstraktion noch auf Figuration verzichten. Ich finde, da muss eine Fusion stattfinden. Denn auch wenn ich es selbst mehr als abstrakte Malerei sehe, muss auf jeden Fall noch irgendwo ein kleiner Platz für die Figur sein.
Neben Zeichnungen und Malerei schaffst du auch Textilarbeiten, wie bezeichnest du sie?
Wahrscheinlich noch immer als Malerei, obwohl ich mit den Mitteln der Collage arbeite. In meinem Atelier habe ich ein Ökosystem erstellt. An einer Stelle etwa lagere ich alte zerschnittene Bilder, oder Lappen, an denen ich Pinsel reinige, oder nebenbei entstandene Notizen und Zeichnungen. Es wird zu einem ständig sich erweiterten Archiv und Fundus, auf den ich zurückgreifen kann. All das ergibt ein Muster und erlaubt mir, wie bei einem Remix Altes und Neues zu mischen. Wenn ich zum Beispiel das blaue Bild hier an der Wand ansehe: Der Stoffstreifen auf der linken Seite sieht wie eine Malpalette aus… Der Streifen entstand getrennt, und ich hab ihn erst später auf die Leinwand collagiert, um quasi den Anfang der Geschichte des Bildes zu zeigen. Er verortet die Malerei nochmal woanders, weil er einen anderen Teil des Prozesses zeigt: die Herkunft. Und die Augen holen sich auch automatisch die Farben aus dem Streifen für das sonst monochrome Bild.


Du zeigst also deine Farbfindung?
Ja genau. Dieser Streifen ist wie ein Index, der angibt, wie Malerei funktioniert, wo sie beginnt und wo sie endet. Und wie beschränkt sie ist, so sehr ich sie auch liebe.
Sind demnach auch deine Collagen für dich Malerei?
Ja, weil ich bei jedem Bildaufbau ähnlich wie bei einer Malerei oder einer Textmontage denke. Dass es klare Flächen gibt oder dichte Beschreibungen, unterschiedliche Perspektiven und Narrationen. Die eingearbeiteten Stoffe leben auch davon. Weil sie bereits eine Abnützung, eine eigene Geschichte haben. Das sind gute Ergänzungen zur Malerei, die untereinander nicht in Konkurrenz stehen. Auf die Kombination kommt es an.


Wie siehst du Malerei heute?
Ich denke, es ist unsere Aufgabe, dass wir uns erstens von althergebrachten Vorstellungen über das romantisierte Künstler*innentum und Malerei lösen. Die Stärke von Malerei ist, dass sie nach wie vor wesentlich die Bildwahrnehmung mitbestimmt. Dass sie auch ohne kommerzielle Werte auskommt, dass sie so oder so entsteht und sich von den eindimensionalen Zuschreibungen und Beschränkungen befreien und in dem Rahmen trotzdem etwas Neues stattfinden kann. Sie wird immer eine Begleiterin der Menschen sein.

Etwas, das die Leute fasziniert. Denn trotz der Bilderflut im Internet ist Malerei immer noch so gefragt…
Stimmt, weil sie so analog ist und so gut im Hier und Jetzt funktioniert! Und wahrscheinlich brauchen wir deshalb noch immer Malerei- und die Bücher und die Musik!
Und es reicht natürlich nicht, Bilder bloß im Internet zu sehen.
Eben. Die Malerei kann Nähe zulassen. Malerei kann aber auch schnell realitätsfremd wirken, weil sie dich nicht vor rationale Erklärungen stellt. Und genau das ist das notwendige Übel. Das Internet mag zwar zu unserer Wahrnehmung von Realität beitragen - aber letztendlich müssen wir uns keine Sorgen machen, dass es die Realität übernimmt.
Du hast einmal gesagt, dass du viel Musik bei Malen hörst. Baust du deine malerische Arbeit demnach wie Musikstück auf?
Ich sehe viele Ähnlichkeiten in der Musik zur Malerei: die Abfolge, den Rhythmus, die formalen Gegebenheiten… In meinen Bildern gibt es Spannungsfelder, und es geht um Leerstellen; beides ist ja in der Musik auch wichtig.



Was hörst du?
Alles Mögliche, derzeit viele Radioshows, in denen man mit allerhand ungewohnter Musik konfrontiert wird. Zum Beispiel die Sendungen vom Musikproduzenten Francesco Fusaro auf NTS. Da findet man auch viel klassische Musik abseits vom Mainstream, und es wird immer wieder mal die Brücke zu Breakbeat oder Rap Samples geschlagen. Es ist wie bei Büchern – es wird ja dann spannend, wenn man zu Büchern kommt, die man nicht zu lesen geplant hatte.
Rhythmik gibt es ja auch in der Literatur?
Genau, das ist mein anderer Bezugspunkt. Rhythmik findet sich direkt in meinen Bildern wieder, aber auch in den Bildtiteln. Generell beeinflussen Bücher mein Malen genauso wie Musik, weil die Dinge ja im Kopf nachhallen.
Deine Inspiration kommt aus der Musik und der Literatur. Du holst sie dir also lieber selbst ins Haus, anstatt sie von der Straße aufzulesen?
Vielfach. Aber ich gehe natürlich auch raus! Ich fotografiere dann viel, alle möglichen Dinge, die ich auf der Straße sehe, oder nehme gefunden Objekte mit ins Atelier. Die Stoffe etwa, die ich sammle, kommen ja auch immer aus der Außenwelt. Container, Baustellen, alte Häuser, Teppichgeschäfte, Schrottplätze… Ich schaffe es einfach nicht, blind draußen rumzugehen. Es gibt immer etwas, das mich extrem anzieht, und das später in meiner Malerei einen Platz findet.


Ist es störend, dass man manchmal von so vielen Eindrücken heimgesucht wird?
Ja und nein. Mein Atelier hier ist sehr überladen: Bilder, Bücher, Musik, Stoffe. Zu Hause ist dafür ein sehr ruhiger Ort.
Woher kommt deine Sammelleidenschaft?
Weiß ich nicht! All diese Dinge sind Basis für meine Arbeit, aber auch Wegbegleiter im Alltag. Es ist vielleicht für mich ein Ordnen der Welt. Wenn man sich mit der Bilderwelt beschäftigt, ist es ja auch ein Ordnen der Welt im Kleinen.
Was sammelst du?
Ich sammle vor allem Bücher, Stoffe, sämtliches Bildmaterial. Etwa diese alte Karte von den Spice Girls, die du gerade ansiehst – sie kommt aus einem Magazin, das ich auf der Straße bei einer Wohnungsräumung gefunden habe. Und der Stoff, auf dem du gerade sitzt, stammt aus einer alten verlassenen Kirche.


Dinge mit Geschichte sind dir wichtig, oder?
Genau! Das ist wie bei meinen Bildtiteln oder verwendeten Ornamenten: Das sind Querverweise. Sie erlauben dir durch kleinste Information, an einen anderen Ort zu reisen.
Apropos Ornament: In einem deiner Bücher sehe ich Seiten mit Mustern, die denen des Wiener Jugendstil ähneln. Ist das eine Kunstrichtung, die dich inspiriert?
Ja. Dadurch, dass ich in Wien aufgewachsen bin, komme ich da wahrscheinlich nicht drum rum. Das ist wie ein Fingerabdruck…
Das Ornament sucht einen also heim?
Ja genau (lacht). Und dann muss man es loswerden.
In dem blauen Bild, das uns visavis hängt, sehe ich allerdings viel Ornament…
Stimmt – weil mich Wiederholung so interessiert! Auf dem Bild sind auch viele Reliefs, weil die Ölfarbe so dick aufgetragen ist.
Deine Bilder haben also immer Titel?
Ja. Wenn mir keiner einfällt, wäre es ein Zeichen dafür, dass das Bild nicht fertig ist.
Deine Arbeiten sind optisch sehr attraktiv, manche haben etwas Hans Frank-mäßiges…
Den Bezug zu Jugendstilstoffen habe ich schon gehört (lacht)!
Allerdings nicht ganz so „perfekt“!
Ja, und das ist eben das, was die Malerei sein soll.

Apropos Hans Frank und Möbel – du hattest eine Kooperation mit der Möbelfirma Freifrau, für die du Stoffe handbemalt hast?
Ja, aus Zeitnot arbeitete ich direkt auf den fertig überzogenen Sesseln. Es war eine Herausforderung, aber eine schöne Zusammenarbeit. Davor probierte ich auf verschiedenen Stoffen aus, wie sich die Farbe darauf verhält. Als Maler*in verwendet man ja an sich das klassische grundierte Baumwollgewebe, aber bei manchen Stoffen ist die Webart oder Farbgebung unersetzbar, das finde ich wunderschön.
Du hast also jeden Sessel direkt mit der Hand bemalt?
Ja. Ich habe mir erlaubt, dass es komplett in das Grafische geht, dass ich eins zu eins meine Zeichnungen verwende. Bei meinen Malereien wird das ganz anders übersetzt. Wenn man sie aus der Entfernung oder online betrachtet, sieht es aus, als ob alle Formen dieselbe Textur hätten, obwohl sie völlig verschiedene Texturen und Details haben. Die Haptik ist das Großartige an Malerei! Der Gegenpol zum flachen Internet…
Wie ist Leben und Arbeiten in Wien?
Sehr entspannt! Ich bin hier aufgewachsen, war aber auch viel weg. Das Schöne an Wien ist: Es hat etwas Zeitloses, es gibt so viele Dinge aus der Vergangenheit. Manchmal bleibt die Zeit auch stehen, das ist sehr angenehm.


Interview: Alexandra Markl
Fotos: Maximilian Pramatarov