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Natacha Donzé, Lausanne

In the Studio

«Der Akt der Malerei ist eine Möglichkeit, Unerwartetes zu entdecken.»

Die Schweizer Künstlerin Natacha Donzé ist für ihre sehr rätselhaften Arbeiten bekannt, mit denen sie Betrachtende in ihre intensiv farbige Welt zieht. Sie grundiert die Leinwand mit einer Luftbürste (Airbrush), um dann zarte, oft abstrakte Details einzuarbeiten – ästhetische Formen, die aus unserer kollektiven Erinnerung stammen und ein unbestimmtes Gefühl des Déjà-Vu hervorrufen.

Wie kamst du zur Malerei?
Malerei interessierte mich schon immer, aber Design war dann mein erstes Studienfeld. Später erkannte ich, dass ich lieber in einer freieren Art über Repräsentation und Bild nachdenken möchte – und das brachte mich wiederum zur ECAL/ der kantonalen Schule für Kunst in Lausanne in der Schweiz. Ich zeichnete, versuchte mich an Installation, Text und Skulptur, an allen möglichen unterschiedlichen Medien. Nach der Schule passierte das mit der Malerei einfach von selbst und ich fühlte, dass es das richtige Werkzeug für mich war. Die Malerei ist ein einfaches Medium, sie braucht nicht viel. Ich mag den Prozess, den die Leinwand erlaubt: Du kannst auf demselben Bild nochmal beginnen und eine Abbildung über ein Medium konstruieren, das sich verändert, während du daran arbeitest. 

Wie sieht dein Arbeitsprozess aus?
Ein Gemälde beginnt immer mit Konzepten: nicht unbedingt mit einer Zeichnung, sondern eher mit einer Liste von Worten. Normalerweise ist es eine kleine Sammlung von Ideen, oder ich beginne mit einem bestimmten Bild, das ich im Kopf habe, oder mit etwas, das mich gerade sehr beschäftigt. Ich sammle viele Bilder im Internet, egal ob es sich um Screenshots von Pressemeldungen, wissenschaftliche Visualisierungen, architektonische Renderings, technische Illustrationen oder ähnliches handelt. Aus dieser Ansammlung an Bildern ziehe ich mir etwas eigenes heraus, sodass sogar ich mich nicht mehr genau an deren Quellen erinnern kann. Wüsste ich schon im Vorhinein, wie das Gemälde zum Schluss aussehen würde, hätte ich keine Lust mehr, es zu malen. Der Akt des Malens ist eine Möglichkeit, etwas Unerwartetes zu entdecken, einen Raum, in dem die Intuition übernimmt, und das fühlt sich für mich so an, als ob mein Hirn träumen würde.

Bedeutet das also, dass du kein besonderes im Bild im Kopf hast, wenn du vor der Leinwand stehst?
Genau. Es sind eher Fragen, die ich während meines Arbeitsprozesses zu beantworten suche. Ich möchte eine emotionale Verbindung mit dem Gemälde schaffen, und auch wenn die Abbildung nicht gleich klar ist, gibt es doch Farben oder Gefühle, die für mich bereits da sind. Ich muss nur diesen Punkt der Verschmelzung auf der Leinwand erreichen, wenn all diese Konzepte, die ich zusammenfügen möchte, sich vereinen. Es ist ein wenig so, als würde ich eine offene Welt erschaffen, in einer Landschaft umherwandern.

Wie findest du das richtige Format für deine Leinwand?
Ich denke sehr viel über Formate nach; ich mag es, mit unterschiedlichen Größen zu experimentieren. Ich erachte die Dimension der Leinwand als Teil des Konzeptes – manchmal kann sie eine skulpturale oder architektonische Qualität ausdrücken; sowohl des Gemäldes selbst als auch des Raumes, in dem sie gezeigt wird. Neuerdings arbeite ich an größeren Leinwänden, die mehr physische Auseinandersetzung mit der Malerei erfordern. Große Formate erlauben es mir auch, an unterschiedlichen Aspekten der Wahrnehmung zu arbeiten; etwa, was Betrachtende aus der Entfernung sehen würden, um dann an den Details zu arbeiten, die eine engere Interaktion mit dem Körper erfordern. Manche Gemälde fühlen sich besser auf einer kleineren Leinwand an, vielleicht, weil sie näher am Objekt dran sind, oder eine andere körperliche Intimität im Gegensatz zu einer rein atmosphärischen verlangen. Schließlich aber findet jedes Thema sein Format. 

Wenn du dich für ein Format entschieden hast, beginnst du also, die Leinwand mit Farbe zu grundieren…
Ich arbeite meistens mit einer Luftbürste (Airbrush), die die Farbe versprüht. Ich mag dieses Werkzeug sehr, denn es entfernt dich physisch von dem Objekt und führt einen mechanischen Aspekt in den Arbeitsprozess ein. Wenn ich Schichten an Malerei aufbaue, verwende ich die Luftbürste, um Effekte wie Feuerfunken, Wassertropfen, Zellen und ähnliches zu erzielen… Diese Details sind für die Betrachtenden erkennbar, und so kann ich mit dem Publikum spielen: Einerseits mit dem spielen, das es bewusst wiedererkennt und andererseits mit Elementen, die mehr wie eine retinales Nachbild oder wie eine Hintergrundpräsenz funktionieren. 

Woher kommt dieses Interesse an Effekten? Von deiner Obsession mit Technologie?
Die Idee eines Effekts kann mit dem verbunden sein, was sich real im Gegensatz zum Artifiziellen anfühlt, und das wiederum verbindet sich mit der Art, wie wir Technologie, digitale Bilder oder Apparaturen wahrnehmen. Diese Frage darüber, was Teil unserer Realität ist, versus dem, was konstruiert ist, scheint ganz entscheidend dafür zu sein, wie wir die Grenzen zwischen dem Echten und dem Synthetischen interpretieren. So denken wir über Authentizität und Blickweisen nach. Wenn das Auge einen gemalten Effekt sieht, startet das Gehirn einen Prozess der Identifikation. Manchmal möchte ich Dinge malen, die man sofort erkennt, vielleicht weil ich fühle, das stereotypische Repräsentationen im Gedächtnis verankert sind. Es geht mir darum, eine gemeinschaftliche Sprache zu verwenden, die ein großes Publikum erreicht, und darum, mit dem Raum zu spielen, der zwischen dem liegt, was unser Hirn sofort synthetisiert und dem, was Erinnerung in Gang setzt.
Ich möchte wirklich Dinge evozieren, die dem Publikum bekannt sind. Es erlebt vielleicht diesen Eindruck einer verschwommenen Erinnerung, ein Gefühl des Déjà Vu, aber kann nicht eindeutig den Finger darauflegen. Um diese Sprache zu verwenden, füge ich Schichten hinzu und vermische Symbole und Muster. Diese sind in unterschiedlichen Welten beheimatet. In manchen Werkserien empfinde ich diese Formen als Organismen; manchmal ähneln sie Symbolen, und andere Male ähneln sie erkennbaren Figuren oder Tieren. 

7 Natcha Donze Valeriia Ivanova

Geht es dir also darum, ein Gefühl der Unwirklichkeit zu erzeugen?
Ich versuche, die Idee eines Enigmas oder Fragments zu benutzen: Ein Bild, das so konstruiert ist, dass man es unwillkürlich ergänzen will. Ich interessiere mich dafür, Dinge zu synthetisieren, und es Elementen zu erlauben, sich auf eine merkwürdige Weise zu verbinden. Den Gedanken der Unwirklichkeit finde ich spannend, denn wenn sich etwas gleichzeitig bekannt und unbekannt anfühlt, merkt man es sich. Manchmal ist es auch nur die Gegenüberstellung von Ideen, die mich beschäftigt, die Art, wie diese interagieren oder aufeinanderprallen. Diese Friktion kann etwas Bizarres hervorrufen, und die Malerei ist eine Möglichkeit, genau das greifbar zu machen. 

In einem Bericht über eine deiner Ausstellungen hieß es letzten Sommer, dein Werk zeige eine „brennende Welt“. Würdest du das bestätigen?
Es war die richtige Beschreibung für die Werke in dieser Schau, jedoch steht der apokalyptische Blick nicht immer im Zentrum meiner Arbeit. Feuer ist etwas Primäres, und es kann viele Dinge zutage bringen – die Apokalypse, aber auch den Anfang von allem. Ich finde die Idee von Chaos spannend, denn es kann neue Formen hervorbringen. Es muss nicht unbedingt mit Konzepten von Finsternis zu tun haben. 

Welche anderen Themen sind dir wichtig?
Mich interessieren Wirtschaft, Politik und all jene Kräfte, die unsere Wirklichkeit formen. Technologie ist ein wiederkehrendes Thema, auch wenn das vielleicht nicht immer erkennbar ist, ist es doch immer mit der Art meiner Malerei und meines Sehens verbunden. Unterschiedliche Technologien sind Zeichen ihrer Zeit und sagen daher viel über bestimmte Momente in der Geschichte aus. Ich stelle nun fest, dass ich in früheren Arbeiten eine alte Idee aus den 1980er Jahren verfolgte, in dem Sinn, dass Technologie die Welt an den Rand des Abgrunds bringen wird. Nun denke ich aber eher, dass sich Technologie der Biologie annähert, indem sie Organismen nachahmt oder in einer engen Beziehung zum Körper oder der Natur funktioniert. 

10 Natcha Donze Valeriia Ivanova

Was inspiriert dich noch?
Musik und Film, aber generell einfach Bilder:  wie sich diese verbreiten, die Systeme, zu denen sie gehören, und die Art der Bilder selbst. Sie können aus der Presse stammen, aus der Werbung, aus dem Alltag oder etwa von Apparaturen für medizinisches Rendering. Sie kommen aus all dieser neuen Technologie, die auftauchte und Bilder entstehen ließ, auf die das menschliche Auge nicht zugreifen kann.

Welchen Inspirationen folgst du gerade?
Als ich an meiner letzten Schau zu arbeiten anfing, dachte ich als erstes an das Bild der Liebenden von Valdaro. (Anmerkung der Redaktion: Es sind die Skelette eines Paars, etwa 6000 Jahre alt, die in einem neolithischen Grab in Italien entdeckt wurden. Es wurde in einer Position begraben, die an eine liebevolle Umarmung erinnert, daher der Name.) Ich war wie besessen davon, meine Schau mit diesen Skeletten zu beginnen. Deren Bild verbindet Intimität und Tod, doch als ich zu malen begann, suchte ich so etwas wie einen Anfang, ein Bild, das eher von Zusammensetzung und nicht unbedingt von Zerfall spricht. Der Titel des Bildes „Not built, but born“, das nach jenem der Liebenden entstand, spricht wiederum von dem Gedanken an sich selbst generierende Dinge, deren Beziehung zu Menschen, Gefühlen und „Wirklichkeit“. Der Tod braucht keinen Beweis, er verschlingt alles. 

Daher meine Frage: Wie weißt du, wann ein Bild beendet ist?
Für mich ist das ziemlich klar. Ich brauche lange für diese Bilder, denn auch wenn der Akt des Malens selbst schnell passiert, bleibt die Leinwand wochen- oder monatelang in meinem Studio stehen. Manchmal lasse ich zwischen dem Auftragen der Ebenen viel Zeit vergehen; es kann drei Monate dauern, bis ich die nächste Schicht auftrage. Ich nehme mir wirklich Zeit zum Nachdenken, bevor ich auch nur die einfachste Geste ausführe. Aber ich weiß ganz sicher, wann ich die letzte Schicht erreicht habe: Es ist der Zeitpunkt, zu dem alle Dinge eingeordnet sind und sich dieser Drang zu malen auflöst.

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Ich finde dein Werk ästhetisch – es transportiert ein Gefühl von Schönheit. Ist dir das wichtig?
Die Idee eines verführerischen oder visuell attraktiven Bildes ist immer mit einer Form der Manipulation verbunden, und mich interessiert, wie sich das im Bild niederschlägt. Ich überlege mir gerne, was attraktiv und was abstoßend ist – und wie sich das mit einem sehr körperlichen Gefühl verbinden kann. 

Woran möchtest du in nächster Zeit arbeiten?
Was mich wirklich interessiert ist, ein Gesamtwerk zu schaffen. Ich denke, dass ich gerne an Projekten arbeite, an Werkserien oder einem Korpus an Bildern, die gemeinsam funktionieren. Ich fokussiere vorrangig auf bestimmte Themen zu bestimmten Zeitpunkten, und wenn ich das Gefühl habe, dass diese Bilder zueinander passen, dann kann ich zu einem andern Narrativ übergehen. In Zukunft würde ich gerne mehr Installationen in meine Bilder integrieren.

Was sind deine nächsten Projekte?
Meine nächste Schau findet im September 2025 bei max goelitz in Berlin statt. „valeurs refuge“ ist ein Zyklus: Liebe und Tod, Kapital und Begierde, Körper und Gebäude, alle in einem fragilen, glühenden Gleichgewicht.

Text: Alexandra Markl
Fotos: Valeriia Ivanova

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