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Mika Rottenberg, New York City

In the Studio

»Es spricht viel dafür, auf groteske Weise über Realität nachzudenken.«

Mika Rottenbergs Arbeiten sind für einen ironischen Blick auf die Absurditäten von alltäglichen, globalen wirtschaftlichen Prozessen bekannt. Sie vereinen surreale, fantasievolle Elemente mit Sozialkritik zu Arbeitsausbeutung, und lassen so eine faszinierende, fantastische Welt erstehen. Doch wie glänzend und humorvoll diese auch scheinen mag, deuten ihre Videos immer wieder auf die Dissonanz in einem Alltag hin, in dem das Leben immer komplexer wird. 

Wie bist du zur Kunst gekommen?
Ich studierte Kunst an einer sehr konzeptuellen Schule. Im Unterricht dort ging es mehr darum, über Kunst nachzudenken als darum, diese auch zu schaffen. Es war eine kleine Kunstschule in Israel, die in der Tradition der Arte Povera stand. Es wurde alles verworfen, das zu hübsch oder zu glänzend war. In meiner Ausbildung ging es nicht um Tradition, sondern um Arten des Sehens und Denkens. 

Was eine tolle Weise ist, auf Kunst zu blicken! Doch wie konntest du sicher sein, dass das, was du am Ende des Tages produziertest, auch wirklich Kunst war?
Ich dachte überhaupt nicht daran, dass das irgendwie wichtig sein könnte! Heute wünsche ich mir jedoch manchmal, dass ich mehr über die Technik Bescheid wüsste… Aber eigentlich auch wieder nicht. 

Geht es also um “learning by doing“?
Ja, ich denke, das ist das Wichtigste. Du machst etwas, und dadurch lernst du. 

1 Mika Rottenberg Katharina Poblotzki

Wie hast du also angefangen?
Am Anfang malte ich, das ist einfach das erste, das man macht.

Hast du diese Bilder noch?
Manche habe ich noch (lacht)! Schließlich wollte ich aber bewegte Dinge schaffen, daher machte Video einfach mehr Sinn. Allerdings war es in den 1990ern schwierig, eine Videokamera zu bedienen und zu schneiden, im Gegensatz zu heute. Und doch mochte ich Video, denn es erlaubt dir, zu malen. Du arbeitest mit Licht und Farbe, und Video hat etwas Konzeptuelles, es bewegt sich in der Zeit, es ist Skulptur… Ich denke, dass es mein Lieblingsmedium ist. 

Wie beginnst du eine Arbeit?
Im Prinzip denke ich, dass das Werk schon da ist, draußen in der Welt. Aber ich sehe vielleicht etwas in der äußeren Welt, das sich dann mit etwas verbindet, das ich tief in mir empfinde. 

Kannst du mir ein Beispiel geben?
Ich machte etwa ein Video, in dem ich Kulturperlen zu anderen Dingen in ein Verhältnis setze, es hieß NoNoseKnows. Es geht um ein System, das Reichtum aus natürlichen Ressourcen und arbeitenden Körpern schöpft. Zwei Orte werden hier vereint: eine riesige Perlenmanufaktur in Zhuji, China, und ein speziell designtes Set in New York. Es fing damit an, dass ich ein Fernsehprogramm über Kulturperlen sah. Dies setzte dann eine ganze Reihe an Gedanken in Gang. In meiner Arbeit geht es um die Verhältnisse zwischen dem Mechanischen, dem Synthetischen und dem Organischen; es geht um die Beschleunigung von natürlichen Abläufen. Ich dachte über die Kulturperle nach, die einerseits organisch ist, aber gleichzeitig auch menschengemacht, und es machte klick und so entstand die Arbeit. Meistens generiere ich Ideen über Materialien und Formen und Verbindungen zwischen den Dingen.  

In deiner Arbeit geht es also um Verbindungen?
Ja. Allgemein kann ich sagen, dass meine Arbeiten immer eine Kombination aus etwas Ursprünglichem, Innerem und etwas Äußerem sind, das dieses spiegelt – und darauf baue ich eine Verbindung auf.

Wie merkst du dir alle diese Verbindungen? Im Kopf? Oder notierst du sie?
Wenn es eine richtig gute Idee ist, dann muss ich sie nicht niederschreiben, sie bleibt mir im Kopf. Aber schauen wir mal, wie ich in zehn Jahren darüber denke (lacht)! Aber wenn du diese Idee im Kopf hast, dann weißt du es einfach. 

Wie vermittelst du deine Ideen weiter?
Nun, ich schreibe sie auf, ich skizziere sie. Dann spreche ich gerne darüber, weil es die Idee destilliert. Und nur weil eine Person dir zuhört, wird dieser nicht materielle Gedanke zu einem Ding.

Eine Idee, die dinglich wird…
Alles in der Welt ist eine Idee, die zu einem Ding wird!

Ich habe gelesen, dass du auch Kapitalismus- Theorie und andere Theorien studiert hast…
Stimmt nicht!

Danke, dass du das sagst, denn das konnte ich in deinem Werk überhaupt nicht spüren!
Meine Arbeit kommt aus einem ursprünglicheren Ort. Was mich interessiert, ist der Intellekt, das Wissen und die Theorien von jenen Menschen, mit denen ich im Austausch bin. Ich glaube nicht unbedingt, dass jemand anderer mehr weiß als ich. Das mag arrogant klingen, aber meine Arbeit ist einfach viel experimenteller: Es geht darum, wie du die Welt und Beziehungen erlebst, es geht um unterschiedliche Materialien, Menschen und Produkte und auch um große, repressive Systeme. Und es weiß nun einmal niemand besser als ich selbst, wie ich über diese Themen denke!

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Du denkst also nicht, dass du eventuell etwas theoretischen Input gebrauchen könntest?
Nun, Marx schrieb über Arbeit und Materie, aber ich denke nicht, dass er besser weiß als ich, wie es sich anfühlt, etwas zu konsumieren, das in einem anderen Teil der Welt hergestellt wurde, von weither kommt, und von so vielen Menschen bearbeitet wurde. Und wenn dieses Ding dann in meinem Mund und meinem Körper endet: Ich finde, dabei handelt es sich um eine sehr intime Beziehung! Daher benütze ich keine Theorien. Aber natürlich ist es etwas einschüchternd anzunehmen, dass ich über viele Dinge Bescheid weiß…

Ist das nicht etwas, das Menschen von Kunstschaffenden erwarten?
Da bin ich nicht so sicher. Je mehr wir wissen, desto mehr ist uns bewusst, wie wenig Ahnung wir haben. Es geht um das Experiment und darum, wie du die Dinge siehst, und welche Art an Erfahrung und Wissen du daraus ziehst. Ich denke, dass Wissen etwas sehr Dynamisches ist. Doch manchmal finde ich eine Art von konzeptuellem Rahmen, der mir gefällt, der die Dinge in Worte fasst, über die ich gerade nachdenke. Das kann dann die Idee meiner Arbeit bereichern. Ich mag diese Verbindung: von einem geschriebenen Essay hin zu einem visuellen. 

Sollten Betrachtende deine Arbeit auf eine bestimmte Weise verstehen?
Überhaupt nicht. Wenn mich etwas nervt, dann ist es eine völlig einseitige Deutung meiner Arbeit. Mich interessieren unterschiedliche Perspektiven, oder Linsen, wie ich sie gerne nenne. Eine feministische, eine antikapitalistische, eine sozialistische, eine kapitalistische… ich lehne Linsen ab, die andere ausschließen. Und ich finde, es ist nicht wichtig, was ich anfangs über mein Werk dachte, ob sich meine ursprüngliche Idee mit deiner deckt. Da gibt es keine Hierarchie.

Apropos unterschiedliche Linsen: Du vermischt die Perspektiven in deiner Arbeit – ist sie deshalb so einzigartig?
Ja. Ich finde einfach, dass eine Idee spannender ist, wenn es zwei oder drei unterschiedliche Seiten gibt, sie zu betrachten. 

In einer anderen Arbeit von dir, Cheese, geht es um amerikanische Schwestern aus dem späten 19. Jahrhundert mit extrem langen Haaren, die damit ihr eigenes Shampoo bewarben und zu Millionärinnen wurden. Wo findest du solche Geschichten?
Natürlich im Internet (lacht). Ich las über lange Haare, und überlegte mir, wie fragmentiert persönlicher Raum doch ist. Wenn ich mich selbst ansehe, bin ich ja immer nur in meinem eigenen Blick, also sehe ich mich nie ganz. Diese Idee von Haaren oder Nägeln geht über den Körper hinaus: Das sind Teile, die man abschneiden kann, und sie werden zu einer Art Vermittler zwischen dir und der Außenwelt; zu einer Art Zwischenraum. Die Idee, Haare wachsen zu lassen, fühlt sich wie eine Verlängerung an…

Sich durch etwas zu verlängern, das nicht „lebt“, wie Haare oder Nägel…
… ist eine Idee, dich mich sehr beschäftigt. Ich interessierte mich für Teilchenphysik, oder auch für Spiritualität: für die Idee, dass sich alles ständig bewegt. Ich denke nicht, dass es etwas völlig Lebloses gibt.

Zumindest nicht in deinem Werk!
Aber auch in der Physik. Alles bewegt sich. Und das ist doch interessant, wenn du über Kunst nachdenkst. Denn Kunst soll ja mehr sein, als sie ist. Es geht nicht um das Objekt, sondern um die Beziehung dazu.

Eine deiner Arbeiten heißt Sneeze. Ich habe über deine Obsession mit Allergien gelesen – stimmt das?
(Lacht). Ich würde es nicht eine Obsession nennen, für mich ist es eher ein interessanter Makel des Körpers, was nicht unbedingt schlecht ist. 

Es wurde jedenfalls zu einem Instrument deiner Arbeit – wie kamst du auf die Idee, einen Mann Hasen niesen zu lassen?
Vielleicht, weil ich auf Hasen allergisch bin (lacht)! Außerdem war ich zu der Zeit schwanger, und jeder fragte mich dauernd, warum es in meiner Arbeit so viele Frauen gäbe… Das führte dann dazu, dass ich eine Arbeit über Männer machte, die Dinge aus ihren Körpern heraus produzieren.

Wir könnten auch sagen, dass alles in deinem Werk ein wenig merkwürdig ist – was ja den Zustand unserer Welt heute beschreibt, die jede Sekunde verwirrender zu werden scheint… Kann Kunst da überhaupt noch mithalten?
Für mich veränderte sich viel mit der ersten Trump Regierung 2016; es fühlte sich für mich an wie ein Bruch mit althergebrachten Werten. Davor schien es eine Art Einverständnis zu geben; Kunstschaffende und Schreibende kümmern sich um Fiktion, und Politiker um die „Wahrheit“. Doch plötzlich wurde alles zum Spektakel. Es wurde etwas, das ich gemischten Salat nenne, ohne klare Linie zwischen Fakt und Fiktion. Das veränderte meine Art zu denken, und ich begann, mehr fiktionale Arbeiten zu schaffen. 

Wie verhalten sich Kunstschaffende da im Allgemeinen?
Was mich betrifft, so bin ich es müde, alles von außen zu kritisieren. Heute sollten Künstler*innen neue Wege finden, Dinge zu schaffen, zu denken, in der Welt zu sein. 

Braucht Kunst harte Zeiten, um aufzublühen?
Ich denke, dass Kunst in schwierigen Zeiten konservativer wird, was ich bedaure.

Weil Kunstschaffende nur so überleben können?
Weil vieles verwirrend ist. Du erlaubst dir weniger Risiko, und das sieht man daran, wie Kunst derzeit gemacht wird, in der Malerei und Skulptur. In Zeiten der Unruhe sind Leute vorsichtiger, weil sie ängstlich sind. Denn wenn alles da draußen wackelt, möchtest du nicht für Irritationen sorgen. 

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Doch du hältst immer noch Ausschau danach, oder?
Nun ja, ich mag die Idee einer Allergie als Irritation. Und natürlich sind Menschen Reizmittel für die Natur. Wir sind praktisch die Allergie der Natur! Aber Menschen zu irritieren, kann diese vertreiben. In meiner Arbeit geht es mehr um Verführung und Abwehr, um etwas, das hell und einladend aussieht, es aber bei näherem Hinsehen nicht ist. 

Das klingt wie die Beschreibung eines deiner Videos! Magst du es, hell und dunkel einander gegenüberzustellen?
Ja. Denn das Leben ist nicht das eine oder das andere. Selbst die dunkelsten Dinge können etwas Spielerisches in sich tragen. Doch sollte etwas wirklich zu dunkel und real sein, dann würde ich es nicht für eine Arbeit verwenden. Nicht wie Komiker oder Satiriker, die sich über das Zeitgeschehen lustig machen.

Aber machst du nicht dasselbe?
Vielleicht. Aber ganz so schnell bin ich nicht! Und es gibt gewisse Dinge, die ich nicht tun würde, weil ich Zeit zum Nachdenken brauche. Sogar in NoNoseKnows hätte ich nicht jemanden gezeigt, der einer wirklich toxischen Arbeit nachgeht und dazu etwas Lustiges kombiniert - damit würde ich für mich eine Linie überschreiten. 

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Geht es in deiner Arbeit also um den geschmackvollen Kontrast?
Ja. Ich will nicht aus Prinzip provozieren. Ich mag es, wenn Dinge im Dazwischen sind, wenn du nicht sicher bist, ob sie schrecklich sind oder schön. Dann wird es interessant, und ich überlege mir, mich damit auseinander zu setzen. 

Was sollte also Kunst in unseren Zeiten tun?
Innovativ sein, denke ich! Einfach unterschiedliche Wege finden, um Dinge herzustellen. Ich spreche nicht davon, Lösungen zu finden – das ist ein Job für Techniker. Ich spreche davon, wirklich nachzudenken, wirklich zu versuchen, ein neues System zu schaffen. Es spricht viel dafür, in einer grotesken Weise über Realität nachzudenken.

Was eine gute Beschreibung deiner Arbeit ist! Kunst tut also doch etwas!
Ja, und hoffentlich schafft sie Schönheit. Ich meine, was bedeutet Schönheit heute? Wenn etwas schön aussieht, aber auf hässliche Art hergestellt wurde - ist es dann immer noch schön? Es gibt darauf nicht nur eine Antwort. Und genau diese Dissonanz ist es, die ich spannend finde. 

Gibt es einen roten Faden in deinem Werk?
Ja, denn jede Arbeit führt zur nächsten. Das Ende eines Werkes trägt den Anfang des neuen in sich. Ich glaube daran, dass es ein Narrativ gibt. Es ist da, wenn man danach Ausschau hält. 

Du lebst heute in New York. Reist du noch so viel wie früher?
Ich versuche es. Ich zeige meine Arbeiten oft in Europa, seltener in den USA: Ich mache also genau das Gegenteil davon, das schlau wäre: Denn es wäre besser, in Europa zu leben und in den USA auszustellen! 

Dass du eine Vielgereiste bist, spielt in deine Arbeit hinein. Denkst du, dass die leichter ist, die Verbindungen zwischen Dingen zu sehen, wenn man schon viel gesehen hat?
Ja. Meine Arbeit hat viel damit zu tun, dass ich mich nicht einer bestimmten Nationalität zugehörig fühle, ich denke nicht, dass es für mich den einen Platz gibt. Ich wurde in Argentinien geboren, wuchs in Israel auf, zog in die USA, dann Spanien, dann ging es zurück nach NY…

Dieses Gefühl der Nicht-Zugehörigkeit spielt auch in deinem Werk eine Rolle…
Ich denke, dass mein Werk viele Fragen über die Verbindung zu einem Ort stellt, und was dieser Ort sein könnte. Ist es ein Land, ist es dein Körper, oder die Partikel deines Körpers - was ist diese Verbindung genau? Ich hinterfrage den Besitz des Körpers und des Landes. 

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Wenn wir von Land sprechen – du bist aus der Stadt weg gezogen…
Vor über zehn Jahren zog ich in den Wald. Zum ersten Mal fühle ich mich einem Ort verbunden, nicht auf eine nationalistische Weise, aber ich fühle mich wie der Aufpasser dort. Ich suchte einen stillen Ort…

Vielleicht, weil es in deinen Videos viel Lärm gibt?
Naja, im Wald kann es auch laut sein (lacht)! Meine Nachbarn wirbeln ständig das Laub mit Maschinen auf, das macht mich wahnsinnig. 

Die Situation könnte direkt aus einem deiner Videos stammen! 
Stimmt. Manchmal würde ich die Blätter gerne wieder dorthin zurücktragen, wo sie herkommen. Ich kann nicht verstehen, warum es besser sein sollte, sie einzusammeln und in Mistsäcke zu füllen. Blätter gehören unter die Bäume und nicht in den Müll!

Das klingt fast wie der Anfang einer neuen Arbeit?
(Lacht). Ich glaube, die hat David Lynch schon gemacht.

© NoNoseKnows, Mika Rottenberg. Antimatter Factory, KunstHausWien, Foto: Michael Goldgruber

© #2 with Salad, Mika Rottenberg. Antimatter Factory, KunstHausWien, Foto: Michael Goldgruber

© Ponytail (honey blonde), Mika Rottenberg. Antimatter Factory, KunstHausWien, Foto: Michael Goldgruber

© Spaghetti Blockchain, Mika Rottenberg. Antimatter Factory, KunstHausWien, Foto: Michael Goldgruber

Interview: Alexandra Markl
Fotos: Katharina Pblotzki

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