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Niko Abramidis &NE, Berlin

In the Studio

»In gewisser Weise betreibe ich so etwas wie Zukunftsarchäologie.«

Mysteriöse Logos, Marmorplatten und digitale Welten – Niko Abramidis &NEs künstlerische Arbeit verweist auf Themen wie Machtstrukturen, Zukunftsutopien und gegenwärtige Stadtentwicklung. Ausgehend von Skizzen, die im Notizbuch entstehen, schafft er Paralleluniversen: Rauminstallationen, die an Büroräume erinnern und dabei mit tradierten Symboliken der Macht, einer fiktiven Corporate Identity und dem Erscheinungsbild von Großstädten spielen. Seine Zeichnungen, Objekte und Digitalprints lassen Humor und vielfältige Bezüge, etwa zu Science-Fiction, Philosophie oder ökonomischen Abläufen, erkennen.

Niko, wie bist du zur Kunst gekommen?
Ich habe schon immer gezeichnet, während des Unterrichts, in der U-Bahn, auf Wände, auf Züge, in Hefte und Bücher. Zeichnen ist die Konstante in meinem Leben, die sich immer weiterentwickelt hat. Es ist ein Hauptteil meiner Arbeit, das Skizzenbuch und den Stift mitzunehmen und mir Dinge zu notieren oder sie zu zeichnen.

Und wie hast du dann gemerkt, dass du die Kunst zu deinem Beruf machen willst?
Meine Mutter war Schneiderin und hat mich als Kind immer in Werkstätten mitgenommen. Es hat mich fasziniert, wie da die Maschinen so gekonnt bedient wurden und neue Dinge entstanden. Da war das rhythmische Rattern der laufenden Maschinen und es gab riesige Stoffrollen. Die Atmosphäre in Produktionsstätten begeistert mich bis heute. Ich hab dann zunächst Architektur studiert und versucht, die strengen Vorgaben für wöchentlich abzuliefernde Modelle aus Graupappe durch farbige Entwürfe zu unterwandern, was nicht so gut ankam. Dann bin ich zufällig in die Kunstakademie reingelaufen und hab Leute bei der Arbeit gesehen und niemanden, der ihnen gesagt hat, was wie gemacht werden muss. Diese Freiheit war wie ein Turboantrieb für mich, und ich weiß es immer noch zu schätzen, meine eigenen Pläne, Interfaces und Projekte verwirklichen zu können.

Was bedeutet denn Interface für dich?
Ein Interface ist ein Arbeitsumfeld, meist eine Maschine, mit der ich kooperiere. Das kann ein Schweißbrenner, eine Stickmaschine, ein alter Plotter oder ein Wasserstrahlschneider sein. Aber auch eine Sprühdose oder eine Handfräse. Maschinen sind ja sozusagen unser verlängerter Arm, ausgestattet mit vielen Fähigkeiten, die wir nicht haben. Gleichzeitig muss man erst mal die Maschinensprache lernen, um sie virtuos benutzen zu können.

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Mit welchen Arbeiten hast du dich dann an der Kunsthochschule beworben?
Ganz traditionell mit Zeichnungen und Malereien. Die Malerei war sehr expressiv und ich finde sie auch im Rückblick noch echt gut. Im Moment knüpfe ich wieder an diese malerischen Arbeiten an. Ich bin ja multimedial unterwegs, und es ist immer sehr phasenabhängig bei mir, mit welcher Technik und welchem Medium ich gerade arbeite.

Wie ist deine Formensprache künstlerisch und theoretisch entstanden?
Die ist vor allem intuitiv entstanden, aus meinem Interesse an immer neuen Themen. Mich interessieren viele Fragen außerhalb der Kunstgeschichte und außerhalb von dem, was man in Museen sieht. Also aus der Sphäre der neuen Technologien, der Finanzwelt, der Optimierungsstrategien. Ich denke, dass Künstler eine ganz besondere Art haben, die Welt zu entdecken, und bestimmte Details wahrnehmen, die vielleicht sonst niemandem auffallen. Ich gehe oft durch die Straßen der großen Städte und sehe mir in den Central Business Districts an, wie dort Dinge gestaltet werden, welche Narrative des Erfolgs erzählt werden. Beispielsweise, dass man in eine Lobby von einer Firma reinkommt, und dann sieht man Imagefilme, aus Edelstahl ausgeschnittene Logos, Marmorplatten, Insignien der Macht. Ein weiterer wichtiger Einfluss sind Science-Fiction-Romane und Kurzgeschichten, die ich schon als Kind gesammelt und gelesen habe. Das war für mich viel interessanter als das, was es in der Schule zu lesen gab. In diesen teils fantastischen, teils auch realistischen Geschichten steckt auch ganz viel Kunst drin. Teilweise hat man das Gefühl, dass die Geschichten fast schon gemalt sind.

Wie meinst du das: gemalt?
Autoren wie J. G. Ballard und William Gibson entwickeln ganz eigene Welten. Aus der Extrapolation von Technologien wird dort ein besonderes Bild von Zukunft entworfen. Es ist gleichzeitig auch ein Nachdenken über die Gegenwart und über die Psychologie der Gegenwart. Die Autoren schaffen Parallelwelten, wie Künstler auch, teils sehr bildhaft beschrieben. Das ist wirklich inspirierend.

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Symbole spielen ja eine wichtige Rolle in vielen Werken, die du geschaffen hast. Warum ist das so wichtig für dich?
Symbole waren ja der Ursprung unserer Schriftzeichen, und es gibt auch heute noch viele Symbole für komplizierte und auch für einfache Sachverhalte. Mich interessiert, wie in einem einzigen Symbol ganz verdichtet Inhalt, Atmosphäre, also eine ganze Botschaft einfließen kann und das dann alles auch lesbar ist. Ich entwerfe daher gerne Logos und Symbole. Die sind auch manchmal ein bisschen lustig, aber insgesamt vollkommen ernst gemeint.

Was bedeutet eigentlich das &NE in deinem Namen?
Mein Künstlername hat den Zusatz &NE, der zeigt, dass ich nicht alleine arbeite, sondern Teil einer größeren Entität bin. Ich habe schnell gemerkt, dass ich nicht unter meinem Namen als Privatperson arbeiten möchte, sondern als eine Art eigenes Unternehmen und Marke. Als Künstler ist man ja immer Entrepreneur und ich mache das auch zu meinem Thema. Ich wechsle einfach gern die Rollen und bin dann CEO von fiktiven Unternehmen, externer Controller oder arbeitsverweigernder Mitarbeiter. Für verschiedene Werkgruppen entwickle ich auch übergeordnete Corporate Identities. Auch wenn ich die meisten Dinge selber ausführe im Atelier oder in der Werkstatt, habe ich trotzdem das Gefühl, dass ein gewisser Grad an Automatisierung und Werkstattfertigung notwendig ist, also die Zusammenarbeit mit Maschinen und High-Tech-Geräten und neuerdings auch mit KI. Diese Art der Kooperation begeistert mich auch intellektuell.

Gibt es Künstler und Professoren, die dich besonders geprägt haben?
Es war schon toll an der Akademie der Bildenden Künste in München, wo ich angefangen habe zu studieren, bei Markus Oehlen. Da herrschte immer ein bisschen diese Punk-Atmosphäre, wo es darum ging, dass man alles selber machen kann, dass man sich selbst nicht beschränkt oder durch äußere Faktoren beschränken lässt, dass man eben seine Materialien selbst bearbeitet, zum Beispiel gefundene Materialien verwendet, seine Klamotten selber macht etc. Und so habe ich dann auch angefangen, eine eigene Corporate Identity zu entwickeln, mit Outfit und allem. Und dass ich alles in der Werkstatt selbst ausprobiere. Dort habe ich gelernt, dass man als Künstler nicht nur alleine im Atelier sitzt, sondern sich breit umschaut, neue Produktionsweisen recherchiert und benutzt, sich Werkstätten anschaut und so weiter.

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Wie waren deine ersten Ausstellungen?
Ich bin einfach mit meiner Kunst hinausgegangen und habe sehr spontan und experimentell gearbeitet. Ich fand es immer gut, auf den jeweiligen Ort und die Besucher einzugehen, Räume zu verändern. Auch jetzt sehe ich mich als Künstler als Entität, die nicht ausschließlich nur in der Galerie oder in festen Strukturen existieren kann, sondern an verschiedenen Stellen der Gesellschaft wirkt. Sobald ich einen leeren Raum sehe oder mir spezielle Details auffallen, kommen sofort Ideen, was man daraus machen könnte.

Welche frühe Ausstellung hat deine spätere Praxis geprägt?
Das war während meiner Zeit an der Kunstakademie, da habe ich leer stehende Ladenlokale in München als Zwischennutzung verwendet, um dort eine Edition aus geplotteten Zeichnungen als Aktien für mein Künstlerdasein zu verkaufen. Das hat erstaunlich gut funktioniert, auch finanziell. Ich hatte damals bei meiner Recherche nach interessanten Maschinen sehr gute Stiftplotter aus den 80er-Jahren entdeckt, die früher von Ingenieuren und Architekten benutzt worden waren. Die waren damals wahnsinnig teuer, aber ab den späten 90ern brauchte die niemand mehr. Ich habe die dann für ein paar Euro gekauft, die Anschlüsse umgebaut, damit sie mit aktuellen Computern kompatibel sind, und damit meine Skizzen zeichnen lassen. Es hat mich fasziniert, dass diese Stiftplotter nicht im herkömmlichen Sinne drucken, sondern wirklich Stifte übers Papier fahren und meine Zeichnung dort wirklich gezeichnet wird. Damit konnte ich dann die Aktien in Auflage herstellen. Durch die Stifte, die nicht immer gleich viel Farbe abgeben, hat auch jede Aktie Unikats-Charakter. Die Serie von Shares hat mich seither begleitet, und ich gebe regelmäßig neue heraus und habe schon einen sehr guten Stamm an Vision Equity Shareholdern. Wenn man als Künstler seine Karriere beginnt, hat man kein Kapital und keine Infrastruktur. So konnte ich das schnell verbessern.

Ausstellungsansicht Vision HQ, 2021, Brienner Strasse 12, Courtesy of max goelitz, Copyright of the artist, Foto: Dirk Tacke

Was war der ausschlaggebende Punkt für deinen Wechsel von München nach Berlin?
München wurde einfach eng als Stadt und sehr teuer. Es ist dort nicht einfach, als Künstler zu überleben, und man findet wenig Raum und Platz für die künstlerische Arbeit. In Berlin gibt es eine sehr viel bessere Infrastruktur aus Ateliers, Werkstätten und Institutionen. Es war eine recht pragmatische Entscheidung. Diese Orte, die Künstler brauchen, waren in München einfach zu begrenzt, man konnte überhaupt nicht wachsen. In Berlin habe ich einen tollen Ort gefunden und bin sehr froh, jetzt hier zu sein.

Ist dein starkes Interesse für wirtschaftliche Zusammenhänge durch das Studium entstanden oder in München, weil es eine Wirtschaftsmetropole ist?
München ist eine kleine Stadt. Man kann in wenigen Minuten den Kontext komplett wechseln und andere Perspektiven einnehmen. Allein schon beim Besuch eines engen Cafés in der Maxvorstadt konnte man gleich drei verschiedene Gespräche aus diversen Geschäftszweigen mithören. Das war teils shocking, aber eben auch inspirierend. Mich interessieren vor allem die schmutzigen Details hinter der schönen Fassade.

An welchen Projekten arbeitest du im Moment?
Momentan arbeite ich an einer größeren Serie von Bildern, die sich mit archaischen Motiven auseinandersetzen aus der griechischen Mythologie, der Odyssee und ihren Monstern. Die Bilder sind teils mit künstlicher Intelligenz generiert, teils mit Sprühfarbe und Pinsel. Für mich sind diese Bilder auch Zeugnisse aus der Zukunft, wenn unsere Zivilisation wie die der Ägypter, der alten Griechen, der Maya und der Inka irgendwann untergegangen ist. Es geht hier um einen großen Zeithorizont. Alte Tempel kommen in diesen Arbeiten vor und mythologischen Wesen. Man kann nicht in die Zukunft schauen, ohne die Vergangenheit in den Blick zu nehmen. In gewisser Weise betreibe ich so etwas wie Zukunftsarchäologie.

Was sind deine aktuellen Ausstellungen?
Gerade läuft in München noch meine Ausstellung DYOR – U. Do Your Own Research, You. Das ist ein wichtiges Thema von mir. Es geht hier nicht nur um Forschung und Recherche, sondern um das Verhältnis von Fake und Truth. Die Ausstellung ist in einer sehr herrschaftlichen Gründerzeit-Villa, dem Center for Advanced Studies. Es ist ein Ort, an dem Wissenschaftler aus unterschiedlichen Bereichen zu verschiedenen Schwerpunkten interdisziplinär zusammenarbeiten. Es ist für mich ein schönes Privileg, durch meine Ausstellung in den Austausch mit Wissenschaftlern zu treten. Mein Denken als Künstler ist dabei gar nicht so weit entfernt von aktuellen Ansätzen in der Wissenschaft. Zentral ist die Frage, welche Rolle Menschen in Zukunft spielen werden, welche systemischen Voraussetzungen gerade geschaffen werden, wo die Gefahren liegen, also im Allgemeinen die menschliche Komponente im Zusammenhang mit Technologien.
Im Herbst stelle ich großformatige neue Panele bei max goelitz in München aus, in einer Gruppenausstellung mit Jeremy Shaw, Nicolas Lamas, Helga Dóróthea Fannon und Haroon Mirza. Im Oktober habe ich eine Einzelausstellung im Salzburger Kunstverein.

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Materialität ist ein wichtiges Element deiner Arbeiten. Wie verbindest du das Materialhafte mit dem Digitalen und mit neuen Technologien?
Ein Marmorobjekt hat etwas Altehrwürdiges und eine Aura. Gleichzeitig strahlen meine Marmor-Cut-outs auch eine Lockerheit aus, weil sie direkt aus schnellen Handskizzen entstehen. In diesem Spannungsfeld bewegen sich etliche meiner Arbeiten. Ich denke viel darüber nach, was bestimmte Materialien kulturgeschichtlich bedeuten, was sie ausstrahlen und welche Materialien für welche Werke geeignet sind. Es geht dann um die Aufladung von Material mit Gedanken und Ideen, manchmal auch um eine Umwertung. Ich habe eine Affinität für Rohstoffe, die aus einem bestimmten Umfeld kommen und die ich dann in meinem künstlerischen Kontext bearbeite. Mich interessieren sowohl traditionelles Handwerk als auch innovative Technologien. Es ist mein Traum, diese beiden Welten in einer Art Factory zusammenzuführen.

Du träumst von einem Factory-Konzept?
Ja. Es könnte ein altes oder neues Gebäude sein – ein Fabrikgelände, schon halb verfallen, wäre eigentlich optimal. Ich stelle mir vor, dass in einem größeren Gelände viele Werkstätten, Gärten, Schreibtische, Bibliotheken und Maschinen zugange sind. Leider ist es so, dass diese Freiräume und spannenden Orte, wo produziert wird, Ideen ausgetauscht werden, immer mehr verschwinden. Das liegt auch an unserem Wirtschaftssystem, dem Wachstumsglauben, wo ständig alles noch effektiver sein soll. Darunter leiden aber nicht nur die Qualität und Haltbarkeit von Produkten, sondern kunsthandwerkliche Techniken gehen auch ganz verloren. Mich interessiert Dezentralisierung im Gegensatz zu globalisierten Megastrukturen. Das prägt auch meine Kunst. Ich arbeite zum Beispiel auch an einem New World Network, einem System von Nodes, das verteilt auf verschiedene Haushalte ein dezentrales Netz bildet, blockchain-basiert. Mich interessieren Strukturen, wo der Mensch nicht Untertan ist, sondern selbst aktiv gestaltet, auch miteinander.

Ausstellungsansicht DYOR U, 2023, Center for Advanced Studies LMU, Courtesy of max goelitz, Copyright of the artist, Foto: Dirk Tacke

Ausstellungsansicht DYOR U, 2023, Center for Advanced Studies LMU, Courtesy of max goelitz, Copyright of the artist, Foto: Dirk Tacke

New World Node, Niko Abramidis &NE, 2022, Courtesy of max goelitz, Copyright of the artist, Foto: Dirk Tacke

Ausstellungsansicht Vision HQ, 2021, Brienner Strasse 12, Courtesy of max goelitz, Copyright of the artist, Foto: Dirk Tacke

Interview: Kevin Hanschke
Fotos: Katharina Poblotzki

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