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Reinhold Ponesch, Wien

In the Studio

»Dieses Thema, was ist zwischen Himmel und Erde, beschäftigt mich.«

Für den in Bregenz geborenen Künstler Reinhold Ponesch ist Kunst das Mittel, um Gedanken zu transformieren. Dabei handelt es sich bei ihm um eine emotionale Auseinandersetzung mit Gesellschaft, Mensch und dem künstlerischen Ich in einer Bandbreite von Medien und Zugängen – von Malerei, Objektinstallationen, Performances bis hin zu Erzählworkshops mit Kindern. Seine farblich intensiven Arbeiten sowie seine künstlerischen Herangehensweisen laden dazu ein, Perspektiven zu erfahren und zu erleben, aber auch offenzuhalten.

Reinhold, dein Weg zur Kunst ist recht ungewöhnlich. Du warst bei der Antiterroreinheit Cobra, hast währenddessen angefangen zu malen und dich dann ganz der Kunst gewidmet. War es schon immer dein Plan, Künstler zu werden?
Eigentlich nicht, aber diese kreative Ader hatte ich irgendwie schon immer in mir, nur war sie ein wenig versteckt oder überdeckt. Ausschlaggebend war im Jahr 2000 eine Ausstellung von einer Bekannten meines Bruders. Sie stellte abstrakte Bilder in einem alten Kraftwerk in Vorarlberg aus, und das war eigentlich die Initialzündung, wo ich gesagt habe: Wow, das will ich auch machen! Und dann hat es noch so ein Jahr gedauert. Ich bin dann zum Künstlerbedarf boesner in Wien gefahren und habe eingekauft, wobei ich keine Ahnung hatte, was ich brauchte, und als ich an der Kasse stand, meinte die Verkäuferin: Das macht dann 9800 Schilling (700 Euro). Und ich dachte mir, was ist denn da so teuer! (lacht) Und dann ging es darum, die Materialien entweder zurückzugeben oder doch zu nehmen, und ich habe mir gesagt: Nein, ich kaufe das jetzt und ich mache das! Zu Hause fing ich an, auf dem Küchentisch auf der Leinwand zu malen, aber merkte sehr schnell, es ist schwieriger, als ich dachte, da ich keine Maltechniken kannte. Dann belegte ich viele Kurse, darunter an der Akademie, und habe so über die Jahre meine Handschrift entwickelt.

Es war also niemals eine Art Entfliehen vor einer eher rauen oder herausfordernden Arbeitsrealität?
Bei mir hat es keine Korrelation gegeben, auch wenn manche denken, es ist ein harter Job, und man muss das als Ausgleich machen. Das war es nie. Ich habe einfach gespürt, ich möchte etwas Kreatives machen. Und dadurch, dass die Kunst immer mehr geworden ist, hat sich natürlich der andere Beruf immer mehr entfernt, auch emotional, und das war dann schon ein sehr harter Weg.

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Wann ist es dann losgegangen? Wann wurde dir bewusst, ich bin jetzt Künstler?
Letztendlich habe ich mich 2009 dazu entschieden, dass ich das jetzt professionell machen möchte. Ich war immer mehr im Atelier und habe bei der Polizei Stunden reduziert. Als ich dann beide Berufsfelder gleichzeitig ausübte, konnte ich das nicht mehr vereinen und stieg 2015 komplett aus. Und seitdem lebe ich von der Kunst. 2013 gewann ich den Kapsch Art Award (Kunstkalender), und dann gingen auch die Türen zur Zusammenarbeit mit den Galerien und den Kunstmessen auf. Dennoch war es schon diese Entscheidung im Kopf, ich mache das jetzt, und ich mache das professionell, und dann passiert auch etwas, das ist ganz spannend.

Wenn du zurückblickst, wer hat deine Kreativität gefördert?
Unbewusst war es mein Vater. Mein Vater hat mich nie eingeschränkt in dem, was ich mache. Ich war schon immer ein Sturkopf und habe das getan, was ich wollte. Da er auch Maler war, ermutigte er mich, diesen Schritt zu gehen. Und ich glaube, dass das irrsinnig wichtig ist, diesen Mut zu haben und diesen ersten Schritt zu machen und zu schauen, funktioniert das überhaupt, kann ich aus dem etwas machen … Und ansonsten waren es schon Mentoren oder Künstler, die ich kennenlernte und mit denen ich viele Gespräche führte, so auch mit dem österreichischen Künstler Helmut Margreiter, der mich sehr inspirierte. Oder mein erster Dozent, der mich sehr frei hat arbeiten lassen, mir aber auch viele Techniken gezeigt hat. Es ist absolut wichtig, Methoden zu haben, ohne diese funktioniert die Malerei nicht.

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Auch wenn du mittlerweile mehr abstrakt arbeitest, können weiterhin figurative Elemente gefunden werden … Was ist dein künstlerisches Anliegen, welche Themen beschäftigen dich?
Für mich stehen menschlichen Themen und das Emotionale im Vordergrund. Was beschäftigt die Menschen, was kann Menschen Perspektiven öffnen … Und das ist mein künstlerischer Zugang, das heißt, wie kann ich Menschen Kunst zugänglich machen und auch das zu verstehen geben, was ich mache. Wenn ich jetzt so auf meine Werke schaue, sehe ich das Abstrakte, aber viele Menschen suchen meistens etwas Figuratives, denn daran können sie sich anhalten … Wenn ich aber merke, jemand tut sich schwer, dann versuche ich einfach, darüber zu reden. Und nach dem Gespräch sagen viele Personen: Ich verstehe das jetzt, ich weiß nun, um was es geht und was du meinst. Und dadurch öffnen sich Sichtweisen, und das finde ich ganz speziell und das ist mir in der Kunst wichtig, dieses Aufmachen.

Der Austausch ist dir also wichtig?
Das Gespräch ist mir sehr wichtig. Die Menschen, die meine Kunst kaufen, kennen mich zu 90 Prozent, sie kennen mich als Mensch. Vor zwei Jahren habe ich jemanden getroffen, der Bilder von mir gekauft hat, und er wollte mich persönlich kennenlernen, denn er würde nichts kaufen, wenn er den Künstler nicht kennt. Am Kunstmarkt gibt es natürlich auch das andere Phänomen, dass die Käuferinnen und Käufer die Kunst haben wollen, aber selten die Künstlerinnen oder Künstler kennenlernen wollen. Aber mir ist es wichtig, diesen Konnex entstehen zu lassen, das bedeutet, wer sind die Interessenten und Käufer und wo werden die Bilder hängen.

Du weißt also immer, wo deine Werke sind?
(lacht) Ja, es ist alles dokumentiert.

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Würdest du sagen, die Themen findest du oder sie finden dich?
Die Themen finden mich. 90 Prozent beginne ich ohne Idee. Anfangs lasse ich mich emotional leiten, und im Prozess entsteht meist die Idee. Und bei 10 Prozent meiner Arbeitsweise habe ich konkrete Ideen und versuche, diese dann umzusetzen. Es ist beides schwierig, wobei letzteres schon wahnsinnig kompliziert ist, denn manchmal hast du in der Malerei nur die eine Chance, und wenn es nicht funktioniert, kannst du nur noch darübermalen … Mir ist auch die Komposition wichtig und Räume in der Malerei zu schaffen.

Gibt es noch Themen, die du bearbeiten möchtest?
Das Thema „Glaube“ ergreift mich immer wieder. Dieses Thema, was ist zwischen Himmel und Erde, beschäftigt mich … Was spielt sich da ab, warum ist mir ein Mensch sympathisch und ein anderer nicht, und warum male ich solche Bilder? Ich bin nicht religiös, aber vielleicht ist genau deshalb diese Auseinandersetzung da – und die Frage, woran glaubst du? Tatsächlich arbeite ich gerade an einer Ausstellungstrilogie in Wien, Cross Over – Wortspiele – Standpunkt (Oktober bis Dezember 2022), wo es genau um dieses Thema gehen wird. Aber an sich ist das künstlerische Spiel für mich in der Kunst vordergründig, also dieses Entdecken und was kann ich Neues machen. Immer dieselben Bilder zu malen oder denselben Strich zu verwenden interessiert mich nicht.

Woher kommt deine Inspiration?
Bücher und Gespräche sind Quellen für mein künstlerisches Schaffen. Philosophie oder Juristerei ist auch immer wieder ein Bezug … und Sprache. Ich bin auch Märchenerzähler an Schulen, wo ich Erzählworkshops gebe und am Ende des Workshops mit den Kindern male. Und ich arbeite auch immer wieder an Theaterprojekten mit Jugendlichen. Diese Begegnung mit Menschen ist mir wichtig, denn du siehst, wie sie wachsen und ihre Stimme sich entwickelt. Aber es sind auch bestimmte Orte, wie das Pavarotti-Museum in Italien, wo ich vor Kurzem war. Es ist manchmal so berührend. Ich versuche überall, etwas mitzunehmen, etwas Neues zu finden. Und da sind wir bei dem früheren Thema, also dieser Konnex Kunst und Menschsein, Kunst und Berühren oder Perspektiven öffnen, dann schließt sich hier auch der Kreis mit der Inspiration.

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Neben dem Titel gibst du auch den Entstehungsort an. Welche Rolle nehmen Titel und Ort für dich ein?
Der Titel ist für mich deshalb wichtig, weil meine Arbeit dadurch einen gewissen Abschluss hat. Wenn ich das Bild betitle, ist es für mich zu 99 Prozent fertig. Tatsächlich ist der Titel für mich ein Teil der Identität des Kunstwerkes. Es gibt bei mir kein einziges Kunstwerk, das keinen Titel hat. Und in meiner Erfahrung identifizieren sich die Menschen bei meinen Arbeiten mit dem Titel. Der Ort ist für mich eingebunden in die Örtlichkeit, wo ich durchaus anders arbeite. Ich male in New York anders als in Ardagger oder London, weil die Werkentstehung eine andere und ein Bezug zum Umfeld ist. Würde ich keinen Titel oder den Ort angeben und alles offenlassen, wäre es für mich nicht abgeschlossen.

Welche Reaktionen wünschst du dir?
Da habe ich überhaupt keine Erwartungen und versuche, völlig neutral zu sein. Ganz am Anfang meiner Karriere gab es diesen Moment bei einer Ausstellung, wo die Farbmischung, ein Orange und ein Magenta, in einem meiner Werke jemanden so irritiert hat, dass er ausrief: Wer hat dieses Bild gemalt? Das gibt es nicht, wie kann man diese zwei Farben verwenden? Und ich dachte mir, was tue ich jetzt? Es war so ein Erlebnis, wo ich mir sagte, okay, ich muss mich damit auseinandersetzen, wie ich damit umgehen möchte. Es gibt immer Menschen, die gehen an einem Bild einfach vorbei, und es gibt Menschen, die stehen vor einem Bild und gehen nicht mehr weg … Ich versuche sehr, neutral zu sein, und für mich ist es okay, wenn jemand vorbeigeht, denn mir gefällt auch nicht alles. Und das ist eigentlich das Schöne, und das zu respektieren, finde ich in der Kunst schon enorm wichtig.

Gibt es Missverständnisse, dein künstlerisches Schaffen betreffend, die du ansprechen wollen würdest?
Ich bewege mich zwischen der informellen Kunst und dem Figurativen, und zwar so, dass jeder Betrachter etwas ganz anderes in den Formen sehen kann, und das ist für mich das Spannendste. Sobald es bei mir zu sehr ins Realistische geht, ist es mir zu viel, weil der Betrachter sofort erkennt, was es sein könnte … Ich versuche es total aufzulösen, sodass nur Teile und Fragmente sichtbar sind und jeder was anderes sieht. Manchmal kommen Menschen zu mir und sagen: Hey, das ist ja das und das … Und ich sage, okay, interessant … Und sie meinen: Aber du hast es doch gemalt! Ich denke, dass das in der Abstraktion das Schönste ist, wenn die Leute kommen und sagen, ich sehe dieses oder jenes, denn genau in diesem Spektrum möchte ich mich bewegen.

Und wie würdest du die Kunst, die du machst, in ein paar einfachen Worten beschreiben?
Dynamisch expressive Malerei, wobei mein Merkmal dieses Bewegen zwischen abstrakten Formen und dem Figurativen ist, also wo jeder sehen kann, was er möchte. Und bei mir sieht man Farben. Und meine Kunst soll auch etwas Schönes sein, und es ist schön zu wissen, wenn Menschen mit meinen Bildern jahrelang leben, wenn sie zum Beispiel im Wohnzimmer hängen, und sie einfach Freude daran haben.

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Das Wiener Atelier ist tatsächlich nur ein möglicher Ort deiner künstlerischen Produktion … Wie können wir uns aber hier deinen typischen Arbeitsprozess vorstellen?
Ich beginne circa um 9 Uhr an dem zu arbeiten, was da ist, darunter auch Auftragsarbeiten wie dieser Druck, den ihr hier sehen könnt, dieser Jesus auf dem Ölberg … Oder das andere Bild, was gerade am Entstehen ist, und jetzt bin ich schon wieder so weit, mir die Frage zu stellen, will ich das überhaupt, oder zerstöre ich gerade das Bild mit dem nächsten Schritt. Manchmal, denn ich dokumentiere alles fotografisch, gehe ich zurück und denke mir, ich bin zu weit gegangen, denn das, was vorher war, wäre jetzt eigentlich ganz cool gewesen … Doch im Prozess weiß man das oft nicht, das ist das Schwierige, zu erkennen, wann der richtige Moment ist, aufzuhören, wann ist es fertig. Allgemein kann ich sagen: Wege entstehen, indem ich sie gehe, und das hilft mir bei meiner Arbeit. Und es gibt natürlich viel Büroarbeit, die ich hier im Atelier mache oder zusammen mit meiner Frau Nicole in unserer Wohnung, die im gleichen Haus ist. Die Mischung ist mir aber wichtig, also schaue ich, dass ich mindestens einen halben Tag im Atelier bin und arbeite und den anderen halben Tag Büroarbeit, Social Media oder andere Projekte organisiere.

Du bist nicht klassisch-institutionell zur Kunst gekommen. Glaubst du, dieser Weg hat mehr Vorteile oder eher Hürden?
Beides. Durch meinen autodidaktischen Weg denke ich durchaus, dass ich freier bin in dem, was ich in der Kunst mache. Ich glaube, wenn du beispielsweise auf der Akademie bist, wirst du oft in ein Schema gedrängt oder beurteilt, was dich teilweise blockieren kann, und wenn du dann rausgehst und auf dem freien Markt bist, musst du wieder versuchen, deine Freiheit zu bekommen. Was nicht so angenehm ist, wenn man an den Kunstmarkt denkt, ist oft die erste Frage, die dir gestellt wird: Bei wem hast du studiert? Und es ist sicherlich schwieriger, eine arrivierte Galerie zu finden, die mit dir zusammenarbeiten möchte … Aber tatsächlich sehe ich nur Vorteile für mich und mein künstlerisches Schaffen.

Interview: Marieluise Röttger
Fotos: Christoph Liebentritt

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