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Tina Lechner, Wien

In the Studio

»Meine Arbeiten entstehen in mehreren Akten, gleich einer Theaterinszenierung.«

Ausgangspunkt von Tina Lechners analogen Schwarz-Weiß-Fotografien ist stets der weibliche Körper, er dient als Projektionsfläche; sie verhüllt, ergänzt und verzerrt diese mit geometrischen Objekten und Kostümen. Jedoch folgt Lechners Arbeitsweise einem Verständnis von Fotografie als Skulptur. Die Trennlinie zwischen Mensch und Maschine, künstlich und natürlich ist in ihren Arbeiten nicht länger klar erkennbar. Wir haben die Künstlerin zu einem Gespräch in ihrem Atelier in der Wiener Innenstadt getroffen.

Tina, wie bist du eigentlich dazu gekommen, dich der Kunst zu widmen?
Vor dem Kunststudium habe ich als Grafikdesignerin gearbeitet. Die Entscheidung, Kunst zu studieren, kam eigentlich über Nacht: eine intensive Sehnsucht danach, Eigenes zu produzieren. Dem musste ich nachgehen. Es hat mich selbst überrascht, wie stark dieser Drang, der bis heute anhält, plötzlich war. Da entschloss ich mich, mich für das Fotografie-Studium an der Akademie der bildenden Künste in Wien zu bewerben, wo ich dann auch bei Matthias Herrmann und Martin Guttmann studiert habe.

Warum die Entscheidung für das Studium der Fotografie? Kam das intuitiv, oder hast du dich bereits vorher mit dem Medium auseinandergesetzt?
Vor dem Studium habe ich nicht allzu viel fotografiert. Die Fotografie als Medium habe ich erstmals bei der Bewerbungsmappe für die Akademie ernsthaft verwendet. Ich wusste danach sehr schnell, dass ich mit analoger Schwarz-Weiß-Fotografie arbeiten möchte.

Viele Künstlerinnen und Künstler deiner Generation machen sich die Möglichkeiten der Digitalfotografie und der digitalen Bildbearbeitung zu eigen. Du hast dich entschieden, analog zu arbeiten. Warum eigentlich?
Am Anfang war die Faszination für das Material da und vor allem der langsame Entstehungsprozess von der Idee bis hin zum fertigen Foto. Der analoge Prozess ist ein entschleunigter und konzentrierter Vorgang. Fotos können nur mehr in den Tonwerten und in der Helligkeit nachbearbeitet werden, Makel und Fehler bleiben. Das verlangt, alle Entscheidungen im Vorhinein zu treffen, und lässt mich konzentriert arbeiten. Außerdem ist ein wesentlicher Punkt das Filmkorn, ich liebe es. Ich kann es als eine Art visuelle Haptik beschreiben, ohne dieses kann ich mir meine Arbeiten nicht vorstellen.

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Du hast zu Beginn deiner künstlerischen Laufbahn eine sehr spezifische Formensprache entwickelt, die du in den ersten Jahren konsequent verfolgt hast. Dazu hast du dich unter anderem mit dem Prinzip der Solarisation beschäftigt. Kannst du dazu mehr sagen?
Ich habe mich tatsächlich eine Zeit lang intensiv mit der Solarisation und der Pseudosolarisation beschäftigt. Das ist eine Zweitbelichtung am Positiv oder am Negativ, die eine (teilweise) Umkehr der Tonwerte zur Folge hat. Diese Technik ist relativ wenig steuerbar, und die Ergebnisse sind nicht reproduzierbar, worin für mich auch der Reiz lag. Das Fotografische ist für mich aber mehr in den Hintergrund gerückt. So verbringe ich inzwischen weniger Zeit in der Dunkelkammer und widme mich dem Entwerfen und Bauen von Objekten und Kostümen.

Deine Arbeiten gehen, wie du sagst, eigentlich über herkömmliche Fotografie hinaus und beschäftigen sich vorrangig mit dem „Objekt“. Welchen Stellenwert hat die Fotografie dabei für dich?
Das Medium der Fotografie verwende ich, um meine Objekte für den Betrachter sichtbar zu machen. Ein wesentlicher Teil meiner Arbeit ist tatsächlich das Gestaltungsprinzip der Materialmontage und nicht die Fotografie. Fotografie ist lediglich das für mich geeignetste Medium, um meine Ideen schlussendlich umzusetzen. Alles beginnt mit Skizzen, aufgrund derer ich meine Objekte entstehen lasse. Diese werden dann, wie auf den Zeichnungen basierend, von einem Model getragen und fotografiert.

Welche Materialien verwendest du für deine Objekte?
Meine ersten Objekte habe ich ausschließlich mit Papier und Karton gefertigt. Danach habe ich begonnen mit Kunststoffen zu arbeiten, die immer noch einen wesentlichen Bestandteil meiner Arbeit ausmachen. Mittlerweile verwende ich verschiedenste Materialien, und es kommen immer neue hinzu. Wichtig dabei ist mir die Lust am Schönen, dem Material selbst, dessen Oberflächen, an der Linienführung und vor allem den Formen.

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Wie entstehen die Ideen für diese Requisiten?
Einerseits kommt sehr viel einfach aus dem Skizzenbuch. Andererseits gibt es auch eine ganze Reihe an Dingen, die mich inspirieren – das Triadische Ballett hat mich vor Jahren, als ich es an der Akademie für mich entdeckte, sofort fasziniert und nachhaltig inspiriert. Meine Arbeiten haben jedoch viele Quellen, wie zum Beispiel auch Malerei und Mode oder afrikanische Kostüme. Der Prozess der Entstehung ist natürlich ein intuitiver. Es gibt eine Grundidee, eine klare Vorstellung, wie das Foto auszusehen hat, doch ist in meinem Fall der Arbeitsprozess nicht homogen zu verstehen. Meine Arbeiten entstehen in mehreren Akten, gleich einer Theaterinszenierung. Von der ersten Idee als Skizze bis schlussendlich zum Endprodukt, dem Foto.

Dein Atelier gleicht auch vielmehr einer Werkstatt als einem klassischen Fotoatelier. Man hat das Gefühl, sich hinter den Kulissen einer Bühne zu bewegen.
Das stimmt. Man kann hier förmlich die unterschiedlichen Arbeitsschritte in einem Entstehungsprozess durchwandern – ein „Making-of“ sozusagen. (lacht) Meine Arbeiten beschränken sich eben nicht nur auf das Verständnis für analoge Fotografie und das Material. Die Skizze umzusetzen bedeutet im ersten Schritt, die richtigen Materialien auszuwählen, im weiteren, die Requisite herzustellen, um sie dann, am Frauenkörper appliziert, im Atelier zu fotografieren. Dieser Entwicklungsprozess konzentriert sich nicht nur auf das „Endprodukt“ Foto selbst, es ist ein narrativer Prozess, der sich im Bild durchaus wiederfindet in Verbindung von Körper und Objekt, für die perfekte Inszenierung.

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Hast du jemals darüber nachgedacht, deine Requisiten und Objekte auszustellen?
Die Objekte werden ausschließlich für die Fotos von mir hergestellt und sind nicht dafür gedacht, eigenständig gezeigt zu werden. Schließlich ist es die Verbindung beider Komponenten, die mir wichtig ist – der menschliche Körper ist auf den Bildern ebenso wichtig wie die Objekte selbst. Die Verbindung beider ist der spannende Moment. Es ist auf dem Foto alles da, was ich zeigen möchte. Eigenständige Objekte/Objektkunst zu erarbeiten, verlangt aus meiner Sicht ein komplettes Umdenken und eine völlig andere Herangehensweise. Meine Requisiten könnten dem nicht gerecht werden und müssen es auch nicht. Sie dienen lediglich dazu, die reduzierte Bildsprache, die mich reizt, umzusetzen.

Neben den Objekten selbst sieht man auf deinen Bildern oft Kopf und Schulterpartie, inzwischen auch den Torso und die Beine, aber nie ein Gesicht, das die Trägerin deiner Requisiten erkennbar macht. Interessiert dich das Gesicht überhaupt nicht?
Es ist mir nicht wichtig, Identitäten zu zeigen, es geht mir vielmehr um das Spiel der Oberflächen, sowohl des sinnlichen Organs Haut als auch der Oberfläche meiner Objekte, und um eine klare Linienführung. Dies betrifft nicht nur den Körper und die Requisiten, dieser Blick hat sich nun auf den Raum erweitert. In meinen früheren Arbeiten habe ich mich zum Beispiel ausschließlich auf Köpfe konzentriert. Es gab keinerlei Andeutung einer Verortung, eines Raumes. Im meinen letzten Arbeiten ist dieser Aspekt nun hinzugekommen. Ich habe immer schon in Serien gedacht und gearbeitet. Umfangreiche Zyklen entstehen daraus und erstrecken sich über einen längeren Zeitraum. Die „aktuelle“ Serie habe ich vor einem Jahr begonnen. Im Unterschied zu vorherigen Serien arbeite ich an Ganzkörperaufnahmen in Verbindung mit der Ebene des Raumes.

Eine Weiterentwicklung in deinen Arbeiten also. Kannst du uns auch einen Ausblick auf kommende Projekte geben?
Ein großes Projekt in diesem Jahr ist ein Katalog mit Textbeiträgen von Kathy Battista, Nathalie Khan und Marlies Wirth, der erstmals einen umfassenden Überblick über meine bisherigen Arbeiten zeigen wird. Bei der Produktion lege ich besonderes Augenmerk auf die Qualität des Drucks, der den analogen Barytprints möglichst nahe kommen soll.

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Interview: Florian Langhammer
Fotos: Gerhard Wasserbauer

Links: Tina Lechners Website Galerie Hubert Winter

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