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Isa Melsheimer, Berlin

In the Studio

»Mit meiner Arbeit, wenn man so möchte, beseele ich die Gebäude.«

Das Gestaltungspotenzial der modernen Architektur zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk der in Berlin lebenden Künstlerin Isa Melsheimer. Seit mittlerweile zwanzig Jahren greifen ihre Installationen Fragen zur Entwicklung urbaner Lebensräume sowie städtebaulicher Aspekte auf. Sie fängt Natur in Glaskuben ein, um sie in einem abgeschlossenen System gedeihen zu lassen. Rohe Materialien wie Beton oder Keramik kommen für ruinenhafte Skulpturen zum Einsatz. Transparente Stoffe und hyperboloide Konstruktionen schaffen den sanften Rahmen, um ihre Installationen zu vervollständigen.

Isa, du warst im Herbst 2017 Artist in Residence auf Fogo Island, einer Insel im Nordatlantik, an der Küste Neufundlands. Wie hat dieser Ort auf dich gewirkt?
Fogo Island ist ein sehr interessanter Ort. Die Einheimischen der Insel lebten lange vom Fischfang, bis es schlussendlich zu einer Überfischung kam und eine Krise entstand. Mit der Gründung der „Shorefast Foundation“ durch Zita Cobb, der Einführung des Artist-in-Residence-Programms und dem Bau des „Fogo Island Inn“ entwickelte sich die Insel zu einem künstlerischen, aber auch touristischen Zielort, und die Krise konnte vermeintlich überwunden werden. Die touristischen Attraktionen auf Fogo Island sind neben den Walen die schwimmenden Eisberge, die ein Zeichen des katastrophalen Klimawandels darstellen. Ich sehe dahingehend neue Problematiken auf die Insel zukommen und denke, dass der Anstieg des Meeresspiegels Fogo Island verschwinden lassen könnte. Passiert dies, dann würde die Insel den Meereskreaturen gehören.

Welchen Einfluss hatte diese Beobachtung auf deine künstlerische Arbeit vor Ort?
Ich bin auf Fogo Island selbst zur Touristin geworden, da ich zuvor noch nie einen Wal gesehen hatte. Gleichzeitig beschäftigte mich natürlich das Verhältnis zwischen Mensch und Natur, das ich beobachten konnte. In meinem Atelier gab es ein Fenster mit Blick auf den Atlantik, über das ich einen leicht transparenten Stoff hängte. Ich begann, meine täglichen Beobachtungen auf das Material zu sticken. So entstanden viele Linien, Wellen und natürlich Wale. Ich stickte auch die Pflanzenwelt der Insel in das Material und zeichnete Gouachen, auf denen Gebäude und die Meereswelt in Verflechtung abgebildet sind. Diese Arbeiten sind von Donna Haraway und ihrem Konzept des „Tentacular Thinking“ beeinflusst. Eine Gouache zeigt beispielsweise eine Krake, die mit ihren Tentakeln an einem Gebäude zu kratzen scheint, als würde sie dieses verdrängen wollen.

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Ist es so, um mit Donna Haraway zu fragen, dass die Welt ein aktives System ist und jeder Teil seiner eigenen Agenda folgt? Oder reguliert der Mensch die Umwelt, und die Umwelt reagiert lediglich darauf?
Noch leben wir in einem von Menschen geschaffenen Zeitalter, welches Ressourcen aufbraucht und die Natur entmündigt. Wir verbrauchen mehr, als uns erlaubt ist, und der Mensch ist der Hauptdarsteller sowie Entscheidungsträger unserer Weltgeschichte. Was wir benötigen, ist die Gleichwertigkeit zwischen Mensch, Natur und Technologie, über die Donna Haraway in ihrem Buch Unruhig bleiben schreibt. In ihrem Konzept des futuristischen Zeitalters, des „Chthuluzän“, erklärt sie, dass die Menschen in verwandtschaftlicher Beziehung zu nicht menschlichen Wesen leben müssen. In meinen Gouachen thematisiere ich diese möglichen Verflechtungen, wobei dabei offenbleibt, ob es sich um Verdrängung, Anpassung oder Verwandtschaft handelt.

Fogo Island ist eine sehr kleine Insel. Wie hast du deine Zeit dort außerhalb deines Ateliers verbracht?
Ich habe sehr viel Zeit mit Lesen verbracht. Darüber hinaus begann ich zu wandern und Pflanzensamen einzusammeln. Dieses Sammeln der Pflanzen rührt aus meinem fortlaufenden Projekt Plant Hunters, bei dem ich mich an den Samen botanischer Gärten bediene, die für mich ein Spiegel der Kolonie sind, um erbeutete Natur zur Schau zu stellen. Damit drehe ich den Diebstahl um. Die gesammelten Samen aus Fogo Island werde ich in meine Arbeit Plant Hunters einfügen, bei der ich geschlossene pflanzliche Systeme in „wardian cases“, also in Glaskästen, wachsen lasse. Ich habe meine Zeit genützt, um die Insel sozusagen einzusammeln.

Wie lange arbeitest du bereits an „Plant Hunters“, und wie begann dieses Projekt?
Das Projekt begann 2012 in Lissabon, also im Land der größten Eroberer Europas. In Lissabon gibt es drei sehr schöne botanische Gärten, die ich mir ansah. Dazu begann ich über die Geschichte dieser Gärten und der Pflanzenjäger zu lesen. Dabei erfuhr ich von Nathaniel Bagshaw Ward, dem Erfinder der Wardschen Kästen. Inspiriert von diesen „wardian cases“, die wohl die ersten Terrarien für Pflanzen darstellten, jedoch vor allem dazu dienten, Pflanzen über See zu transportieren und vor Salzwasser und Witterungen zu schützen, begann ich geschlossene Systeme zu bauen. In diese Systeme pflanzte ich meine aus botanischen Gärten erbeuteten Pflanzensamen, die für sich selbst arbeiten. Die Pflanzen versorgen sich mit Sauerstoff, wachsen in eigens gewählte Richtungen und erschaffen ein feuchtes Klima, um sich zu ernähren. Ich greife in diese Systeme nicht ein, sondern überlasse sie sich selbst. Es ist spannend, zu beobachten, wie sich diese geschlossenen Welten entwickeln. Es sind kleine botanische Gärten, in denen sich das Moos und die Farne durchsetzen. Der Titel der Serie bezieht sich auf die Pflanzenjäger, über die ich sehr viel gelesen hatte, bevor ich das Projekt startete. Ich beschäftige mich auch mit der heutigen Verfügbarkeit exotischer Pflanzen, die sich durch diese Entwicklung ergab. 2010 habe ich dazu die Installation Ungeliebte Pflanzen im Klever Forstgarten, gegenüber dem Museum Kurhaus Kleve, umgesetzt. Dabei konnten jene Pflanzen, die unschön in den eigenen vier Wänden dahinwuchsen, bei mir abgegeben werden. Viele davon waren exotische Orchideen, die in jedem Baumarkt gekauft werden können und daher ihre Besonderheit bereits vor langer Zeit verloren haben.

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Deine auf Fogo Island entstandenen Arbeiten konnten in der Fogo Island Gallery unter dem Titel „The year of the whale“ gesehen werden. Was kannst du über den Titel sagen?
Ich finde, der Titel erinnert an ein chinesisches Horoskop, das natürlich nicht existiert. Aber ich fand die Vorstellung, dass es ein Jahr des Wales geben könnte, spannend, denn wie würde so ein Jahr aussehen? Wie lebt ein Wal? Und was bedeutet ein Jahr auf Fogo Island?

Dein Interesse gilt unter anderem der brutalistischen und modernen Architektur der 1960er und 1970er Jahre. Letztes Jahr konntest du dieses Interesse in Marl im nördlichen Ruhrgebiet künstlerisch umsetzen.
Marl ist wie Fogo Island ein spannender Ort. Marl wirkt wie eine Betonstadt, die in ihrer Abgeschiedenheit den Charakter einer Insel aufweist. Ein großes Chemiewerk und die ehemaligen Zechen verhalfen der Stadt zu sehr viel Geld, das in den Bau eines modernistischen Rathauses mit dazugehörigem Wasserbecken nach den Plänen von Johan Hendrik van den Broek und Jacob Berend Bakema investiert wurde. Damals war die Konstruktion spektakulär. Aber bereits dreißig Jahre später betrachtete die Stadtbevölkerung diese als scheußlich. Die besondere Geschichte der Architektur und wie diese auf die Menschen wirkt, interessiert mich. Ich habe den Brunnen mit Wasser füllen lassen und sechs Tänzer und Tänzerinnen eingeladen, um der Stadt ein Wasserballett zu schenken. Daraus ist eine Videoarbeit entstanden, die sich mit dem damaligen Optimismus und Wohlstandsgedanken der modernen Architektur auseinandersetzt. Es war spannend, zu sehen, wie positiv die Stadtbevölkerung auf meine Arbeit reagiert hat und wie der Brunnen und das Rathaus den Vorwurf der Scheußlichkeit verloren. Mit meiner Arbeit, wenn man so möchte, beseele ich die Gebäude. Das Video habe ich auch auf Fogo Island gezeigt.

Ist die Kunst ein Rettungsanker für Orte wie Fogo Island oder auch die Stadt Marl?
Ich denke, Zita Cobb hatte diesen Gedanken, als sie Zeit und Geld in Fogo Island investierte. Ungeliebte Orte und vermeintliche Hässlichkeiten können durch die Kunst verändert werden. Möglicherweise liegt dies an den diversen Betrachtungsweisen der Künstler und Künstlerinnen. In meiner Arbeit the possibility of ruins habe ich mich mit Gebäuden, die abgerissen werden sollen, beschäftigt, um beispielsweise deren Schönheit aufzuzeigen. Denke ich an Marl, bin ich sehr froh zu wissen, dass das Rathaus unter Denkmalschutz steht.

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Die Bauten der brutalistischen Architektur werden und wurden oft als „Bausünden“ betrachtet. Erst langsam änderte sich diese Sichtweise und der Aspekt der „Sünde“ verschwand, doch weshalb dauerte dies so lange?
Die Vorlieben der Architektur ändern sich je nach Sehnsüchten. Der Brutalismus gilt als Nachkriegsarchitektur und seine Bauten erinnern viele an Bunker sowie an den Sozialismus. Viele Menschen empfinden dies als unschön, auch als unangenehm. Sie sehnen sich nach einer Romantik einer vergangenen und goldenen Zeit, um die Nachkriegsjahre vergessen zu können. Was eine Bausünde ist und was nicht, erklären uns verschiedene Generationen oder die Zeit. Aktuell sehnen sich wohl viele nach Pariser Stadtwohnungen oder italienischen Villen. Und ihnen ist egal, ob diese rekonstruiert sind. Sie lieben ihre Parkettböden und lieben ihre Flügeltüren, auch wenn das Parket eigentlich Plastik ist. Die nötige Distanz zu den Kriegsgeschehnissen, um die Besonderheit der brutalistischen Architektur erkennen zu können, fehlt vielleicht. Die nächste Generation wird den Beton mögen und darin etwas sehr Angenehmes und Schönes sehen. Übrigens werden meine Sehnsüchte mit dem Barbican Estate in London geweckt.

Gibt es eine Person aus der Architekturmoderne, deren Bauwerke besonders auf dich wirken?
Vor einigen Wochen war ich in Madrid und habe mir die Gebäude von Miguel Fisac angesehen, die mich dann sehr begeisterten. Diese Gebäude wurden teilweise abgerissen, andere verfallen gerade und einige werden auch wieder restauriert. Anhand der Architektur eines Ortes erfährt man sehr viel über eine Stadt und ihre Entwicklung, und das finde ich sehr spannend. Darüber hinaus schätze ich das private Haus sowie das Museu de Arte de São Paulo von Lina Bo Bardi. Unter den „Brutalisten“ halte ich Claude Parent für einen interessanten Architekten, auch wenn er ein Snob war, der mit Vorliebe fragliche Atomkraftwerke baute. Außerdem habe ich mich in den letzten Wochen erneut sehr viel mit Le Corbusier beschäftigt, der mir wieder klar zeigte, weshalb mich die Moderne so berührt.

Auf der Art Cologne 2018 hast du eine Einzelpräsentation gezeigt und wurdest dabei von drei Galerien vertreten. Wie kam es dazu?
Die Idee entstand mit meiner Galerie in Paris, Jocelyn Wolff. Meine Arbeiten sind sehr komplex, und ich verwende viele unterschiedliche Materialen, wie Beton, Keramik, Textilien, und Glas. Dazu zeichne ich Gouachen. Im Vordergrund meiner künstlerischen Arbeit steht immer die Thematik, und wir wollten die Vielschichtigkeit und vielen Aspekte meiner Arbeit zeigen. Nach Absprache mit den Galerien nächst. St. Stephan und Esther Schipper sowie Jocelyn Wolff haben alle der Idee einer Einzelpräsentation zugestimmt. Ich kann mich mit dieser Entscheidung nur sehr glücklich schätzen und finde es äußerst sympathisch, dass hier eine Zusammenarbeit zwischen den Galerien entstand, bei der das Konkurrenzdenken keine Bedeutung hat.

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Wie bespielt man so viel verfügbaren Raum auf einer Messe?
Die Herausforderung bei so einer Möglichkeit ergibt sich durch meine künstlerische Herangehensweise. Ich arbeite sehr ortsbezogen, und eine Kunstmesse ist eher als „Nicht-Ort“ zu bezeichnen. Ich habe mit dem Plan der mir zugewiesenen Messestände gearbeitet und dabei fiel mir auf, dass sich direkt vor meinem Präsentationsbereich ein großer Pfeiler befand, wodurch mein Ausstellungsbereich gar nicht so offen wirkte, wie ich zunächst dachte. Ich platzierte direkt neben dem Pfeiler eine Arbeit aus dem Jahr 2012, bei der ich die Stütze des Deutschen Pavillons in Barcelona von Mies van der Rohe nachgebaut habe. Dieser Nachbau diente als Kommentar und sollte meinen Messestand gedanklich stützen. Dazu zeigte ich Keramikarbeiten aus der Serie Communication with the rotten past und eine Hyperboloid-Konstruktion, um einen sehr feinen und transparenten Raum zu schaffen.

Wie viel Erklärung benötigen deine komplexen Installationen?
Man sollte tatsächlich etwas wissen, um meine Arbeiten verstehen zu können. Ich finde die Herausforderung, zu denken, wichtig, und Kunst soll und darf auch etwas anstrengen. Meine Arbeit ist weder dekorativ noch visuell spröde, sondern besitzt eine gewisse Ästhetik, bei der die inhaltliche Komponente immer in das Material eingeschrieben ist. Daraus ergibt sich sozusagen meine Handschrift, die aus meiner Sicht über einen hohen Wiedererkennungswert verfügt.

Woran arbeitest du aktuell und an welchem oder mit welchem Ort?
Ich werde mich demnächst dem Ort Montbéliard widmen. Die Stadt war einmal eine richtige Arbeiterstadt und beherbergte das größte Werk der Automarke Peugeot. Im benachbarten Ort Sochaux befindet sich nun ein Peugeot-Museum, das 1988 eröffnet wurde. Orte, die einst groß in der Industrie waren und nun vergessen scheinen, ziehen mich wohl an. Als Ausstellungsort in Montbéliard dient mir der historisch erste „Showroom“, Le 19 Crac, der Marke Peugeot. Inhaltlich werde ich nach Ronchamp wandern und mit der Kapelle Notre-Dame-du-Haut, die nach den Plänen von Le Corbusier errichtet wurde, arbeiten.

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