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Kim Simonsson, Fiskars

In the Studio

“Ich versuche, etwas von informeller, erhabener Schönheit zu erschaffen.”

Die nordeuropäische Szene für zeitgenössische Kunst entwickelt neue Dynamiken und wird zunehmend von internationalen Sammlern beobachtet. Mit den Nordic Notes lenken wir regelmäßig den Blick auf die nordische Kunst- und Kulturszene und stellen ihre wichtigsten Akteure vor.

Die nordeuropäische Szene für zeitgenössische Kunst entwickelt neue Dynamiken und wird zunehmend von internationalen Sammlern beobachtet. Mit den Nordic Notes lenken wir regelmäßig den Blick auf die nordische Kunst- und Kulturszene und stellen ihre wichtigsten Akteure vor.

Kim Simonssons Skulpturen stechen durch ihren Bezug zu Märchencharakteren, Manga Filmen und Computerspielen heraus. Seine verträumten Figuren haben eine bedrohliche Ausstrahlung, wirken jedoch gleichzeitig zerbrechlich und verwundbar. Sie erscheinen alle einsam und ein wenig traurig, mit einem Anflug von Unsicherheit oder Unruhe, die sie auch in ihren Betrachtern erwecken. Wer sind sie? Wohin gehen sie?

Kim, wir befinden uns hier im malerischen Dorf Fiskars. Kannst du uns etwas über diesen Ort erzählen?
Fiskars ist eine kleine Gemeinde mit nur 600 Einwohnern. Es ist ein sehr spezieller Ort, in dem ein Drittel der Bevölkerung in der Kreativbranche tätig ist – bildende Künstler, Bildhauer, Poeten und Kunsthandwerker... Ich bin hier immer noch ein ziemlicher Neuling. Ursprünglich komme ich aus Espoo, nahe Helsinki.

Was hat dich dazu veranlasst, hierher zu ziehen? Hast du dich von der kreativen Energie dieses Ortes angezogen gefühlt?
Als ich noch in Helsinki lebte, hatte ich eigentlich nicht vor, wegzuziehen. Aber nach einem dreijährigen Residency-Aufenthalt in Tammisaari, etwa 50 Kilometer von hier, direkt am Meer, war mir klar, dass ich nie wieder in einer Stadt leben und arbeiten konnte, also beschloss ich im Jahr 2012, mich hier niederzulassen. Zu dieser Zeit wurde ich vom EMMA (Espoo Museum of Modern Art) beauftragt, eine große Skulptur für die U-Bahnstation Tapiola in Helsinki zu realisieren. Dafür brauchte ich einen großen Raum und hier habe ich die perfekten Bedingungen vorgefunden – und somit blieb ich!

Dein Arbeitsraum befindet sich in einem Backsteinhaus, das Teil eines Gebäudekomplexes ist, der früher anscheinend als Produktionshalle genutzt wurde.
Ja. Tatsächlich war dies der Produktionsstandort der Firma Fiskars. In Finnland ist der Firmenname sehr geläufig und auch im Ausland sind sie für ihre Scheren bekannt. Ihre ersten Produkte waren landwirtschaftliche Pflüge, die hier produziert wurden. Später ging Fiskars dazu über, hier Messer zu produzieren. Aufgrund der Fabrik war Fiskars eine dynamische Stadt mit mehreren tausenden angestellten Firmenarbeitern. In den frühen 80er Jahren verlegte Fiskars die Produktion aber woanders hin und die Menschen verließen die Stadt. Um ihre Tradition weiter aufrecht zu erhalten und aus Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Stadt, hat sich Fiskars bemüht die Gemeinde zu revitalisieren. Sie boten Zimmermännern und Designern an, ihre Werkstätten in den ehemaligen Produktionsräumen zu errichten. Aufgrund der geringen Mieten folgten bald darauf Künstler und Künstlerinnen und die Gemeinschaft begann langsam zu wachsen.

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02 Kim Simonsson

Was hat dein Interesse erweckt, Kunst zu machen?
Weißt du, ich wollte seit meiner Kindheit Maler werden. Bereits als Zwölfjähriger zeichnete und malte ich tagtäglich und mir war ziemlich früh klar, dass ich das beruflich machen wollte. Aber die Anzahl der zugelassenen Studierenden an den Kunstschulen war sehr beschränkt, und ich wurde nicht aufgenommen. Mehr aus Neugier und zum Spaß meldete ich mich an der University of Arts and Design in Helsinki (seit 2010 Aalto University) an und fand heraus, dass es auch eine Klasse für Keramik und Glas gab. Es war eine sehr pragmatische Entscheidung, um ehrlich zu sein, weil ich mir bessere Chancen ausmalte, dort aufgenommen zu werden.

Nach deiner fundierten Ausbildung mit Keramik und Glas hättest du auch einen handwerklicheren Beruf ergreifen können. War es für dich immer klar, dass du die erlernten Fähigkeiten in einer künstlerischen Richtung einsetzen wirst?
Vor meiner Aufnahme in der Keramikklasse hatte ich noch nie skulptural gearbeitet. Ich entdeckte aber schnell, dass es sich für mich natürlich anfühlte, dreidimensionale Arbeiten zu erschaffen, sogar natürlicher als zeichnen. Mir war recht bald bewusst, dass ich keine Leidenschaft für angewandtes Design habe. Meinen Studienkollegen fiel es leichter, ihren Entwürfen eine Funktion zu geben. Mich faszinierten Formen, aber ich hatte kein Interesse an der Funktionalität. Also begann ich, rein figurative Skulpturen anzufertigen. Damals zeichnete ich viele Comics, von denen ich die Inspiration für meine Skulpturen bezog. Ich mochte es immer schon, mit meinen Figuren Geschichten zu erzählen.

Als Kunststudent ist man noch dabei, seine eigene Art zu arbeiten zu entwickeln. Wie hast du deinen eigenen künstlerischen Stil entwickelt?
Als ich in den späten 90ern Keramik studierte, war es kein beliebtes Material bei Bildhauern. Es herrschte die Macho-Attitüde, dass es ein Material für Frauen und deren Handarbeit war. Aber ich liebte das Material, da du alles damit machen konntest! Außerdem wollte ich mich dieser Machokultur entgegenstellen. Meine Keramikarbeiten waren ziemlich skurril. Als einmal ein Kurator vorbeikam, um unsere studentischen Arbeiten zu beurteilen, sagte er, sie seien zwar nett, aber keine Museumsqualität. Als junger Student geht einem so ein Feedback ziemlich nahe. Aber er gab mir auch einige gute Ratschläge. Er sagte, ich solle bei Keramik bleiben, aber ein konsequenteres Konzept entwickeln, von dem die Gestaltung inspiriert werden sollte. In gewisser Weise hegte ich eine Faszination für Porzellandekoration, diese kitschigen Katzen und Hunde und majestätischen Figuren aus Meißner Porzellan. Es ist ein ziemlicher Gegensatz zu funktionellem Design – sie stopfen den Raum voll, was ich mag. Ich begann, meine eigene Version dieser dekorativen Figuren zu machen, allerdings mit einem pietätslosen Dreh und alles andere als lieblich. Ich machte vor allem Hunde, die sich gegenseitig attackierten oder beim Scheißen gezeigt wurden. Damals war Jeff Koons sehr präsent im Kunstdiskurs und meine Arbeiten wurden bemerkt. Jener Kurator, der meine Arbeit damals bei dem Besuch im Universitätsstudio beurteilt hatte, wählte eine meiner Hundeskulpturen für eine Ausstellung im Ateneum Art Museum. Als Student war ich erstaunt, wie gut diese Figürchen aufgenommen wurden und dass Menschen dafür tatsächlich Preise zahlten, die mir als Student wahnwitzig vorkamen. (lacht)

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Wenn man sich die weiß-glänzenden Porzellanskulpturen in dem Studio ansieht, erhält man den Eindruck, dass sie soeben einem Manga-Comic entlaufen sind. Kannst du die Entwicklung von deinen frühen Hundefiguren zu deiner jetzigen Arbeit beschreiben? 
Als ich mit dem Studium fertig war, habe ich mich weder für Manga noch für Anime interessiert. Als ich jünger war, haben mich europäische Comics mehr beeindruckt, besonders die schwedischen. Nach meinem Universitätsabschluss im Jahr 2000 zog ich nach Kanada. Während einem Aufenthalt in Toronto hatte ich die Möglichkeit, eine Gastvorlesung von Takashi Murakami im Power Plant Kunstmuseum zu besuchen. Damals war er noch nicht der Superstar, der er heute ist. Ich lernte einige seiner früheren Arbeiten kennen, wie etwa den Lonesome Cowboy und war fasziniert davon, wie er ein Konzept von Anarchie mit Handwerkskunst vereinte. Und ich bewunderte die Einfachheit, die seiner Gestaltung innewohnte. Neben meinem Studio war eine Glaswerkstatt, wo ich die Skulptur eines rebellischen Mädchens machte – ein spuckendes Mädchen aus weiß-glasiertem Keramik und Spucke aus Glas. Es war eine moderne und pietätlose Interpretation einer Meißner Porzellanfigur, mit Manga-Einfluss in der Ästhetik. Im Prinzip machte ich das gleiche wie mit dem scheißenden Hund. Aber die Glasspucke war so schön und jeder liebte es, also hörte ich auf, Tiere zu formen und begann, Kinder zu machen. 

Was hat dich dazu bewegt, nach deinem Erfolg in Toronto wieder nach Helsinki zurückzukehren? Bernd Arell, damals Direktor des HAM Helsinki Art Museum, hat mich für den "Young Artist of the Year Award"  nominiert, der in Finnland sehr angesehen ist. Daraufhin ist mein Name durch Finnland gewandert, was mir die Möglichkeit gegeben hat, Vollzeit als Künstler in Helsinki zu arbeiten.

Viele deiner Figuren, insbesondere die weiß glasierten, haben ein seltsames Aussehen und eine befremdliche Unheimlichkeit.  Sie sehen auf gewisse Weise süß aus, aber man hat auch das Gefühl, dass man ihnen besser nicht zu nahekommen sollte, sonst könnten sie einen beißen oder anfallen. Warum ist das so?
Ich es liebe, skulptural zu arbeiten, und verspüre einen Drang, es zu tun. Ich wollte etwas erschaffen, dass auch ein bisschen beunruhigend ist, etwas, das diesen Figuren eine Präsenz verleiht, die Betrachter im Unklaren darüber lässt, was sie wirklich sind. Als Augen verwende ich gewöhnlicherweise jene von präparierten Rehen oder Elchen, was den Kreaturen einen etwas komischen und tierischen Blick verleiht, der von manchen Betrachtern vermutlich unterschwellig als bedrohlich wahrgenommen werden wird. 

Du verwendest auch Bestandteile wie Geweih oder Reh-Haut bei deinen – auf den ersten Blick menschlich aussehenden  – Charakteren. Welche Rolle spielen diese Bestandteile in deiner Arbeit? Naja, mein Ausgangspunkt ist immer die Form. Ich liebe es, Skulpturen von Tieren zu machen. Aber normalerweise mag ich sie nicht für sich stehen zu lassen, sondern kombiniere sie mit anderen Materialien, um sie interessanter für die zeitgenössische Kunstszene zu machen. Aber ausschlaggebend ist meine reine Liebe zum skulpturalen Arbeiten.

Running Scarce, 1999; Courtesy the artist

Spitting Girl, 2002, Photo: Jefunne Gimpel, Courtesy the artist

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Lass uns zu einem anderen Arbeitszyklus von dir übergehen, der in den letzten Jahren sehr prominent in deiner Arbeit geworden ist – deine “Moss People”. Sie sehen mystisch aus, wie von einem geheimen Waldstamm. Wer sind sie? Und woher kommen sie? 
Tatsächlich assoziieren sie viele Leute mit dem Wald und sie werden oft die “Moss People” genannt. Sie sind eigentlich zufällig entstanden. 2012 erstand ich eine Beflockungsmaschine, die mit elektrostatischen Nylonfasern arbeitet. Das Grün und die Assoziation zum Wald waren eigentlich nicht beabsichtigt. Ich arbeitete an einer hasenähnlichen Skulptur, die ich schwarz beschichtet hatte, und war von dem Ergebnis alles andere als überzeugt. Also habe ich sie mit neongelben Flocken beschichtet, und die Art und Weise, wie beide Farben miteinander reagierten, erzeugte dieses besondere Grün. Ich brauchte einige Zeit um zu bemerken, dass es aussieht wie Moos, also begann ich, diese neuen Skulpturen als Waldkreaturen zu sehen. 

Es ist auffallend, dass keiner von ihnen wirklich alt aussieht. Gleichzeitig erwecken diese Kinder einen sehr selbstständigen Eindruck, als ob sie recht schnell erwachsen werden mussten. Wieso ist das so?
Ja, sie sind tatsächlich sehr jung. Sie sind noch vor der Pubertät. Ich habe für mich selber analysiert, wieso es für mich so wichtig war, ihnen dieses Alter zu geben. Ich denke, vor der Pubertät erscheint alles möglich. Alles dreht sich um dich und man kann komplett sorgenfrei leben. Gemeinsam mit der Pubertät treten bereits das Erwachsensein und die damit verbundenen Verantwortungen und Einschränkungen auf. Die Dinge werden komplizierter und der soziale Druck von außen nimmt zu. Als ich sie erschaffen habe, hatte ich einen apokalyptischen Moment im Sinn, ein schreckliches, zerstörerisches Ereignis für die Menschheit, das nur von Kindern vor Pubertätsbeginn überlebt wurde. Diese Kinder mussten stark und selbstständig werden, da sich niemand mehr um sie kümmern konnte. In meiner Vorstellung sind diese Kinder alleine und müssen überleben.

Man muss zwangsläufig an “Herr der Fliegen” von William Golding denken, ein Roman, in dem Kinder auf einer verlassenen Insel stranden, wo sie eine eigene Gesellschaft bilden, die sich in verschiedene Stämme weiterentwickelt, die gegeneinander Krieg führen.  
Oh, ich denke, das ist auf jeden Fall etwas von dieser Geschichte in ihnen. Aber ich war hauptsächlich von Mad Max Beyond Thunderdome (Mad Max 3) inspiriert, einem australischen dystopischen Film aus dem Jahr 1985. George Miller führte die Regie und Mel Gibson spielte die Hauptfigur "Mad" Max Rockatansky. Der Film dreht sich um gesellschaftlichen Zusammenbruch, Mord und Vergeltung. In dem Film findet Mel Gibson diesen Wald, in dem eine Gesellschaft von seltsam gekleideten Kindern lebt.

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Kim Simonsson Voodoo Moss Boy 01

Voodoo Mossboy, 2015, Photo: Jefunne Gimpel, Courtesy the artist

Kim Simonsson Voodoo Moss Boy 02

Nomadic Mossboy With Boombox, 2016, Photo: Jefunne Gimpel, Courtesy the artist

Kannst du den Prozess der “Moss People” genauer erklären?
So wie alle Skulpturen, die ich mache, werden sie aus Ton hier in meinem Fiskars Studio erzeugt. Der Ton wird dann in meiner Werkstatt in Helsinki gebrannt. Aber im Gegensatz zu den glasierten weißen Figuren lasse ich eine raue Oberfläche als Basis für einen Überzug mit Epoxidharz, den ich schwarz färbe. Das schwarze Epoxidharz ist elektrisch geladen. Die gelben Nylonfasern der Beflockungsmaschine werden von der Statik angezogen und bleiben in einem 90-Grad-Winkel im Epoxid stecken, wie Haare in der Haut. Ich habe sehr viel Genugtuung aus diesen Skulpturen gewonnen, da sie für mich persönlicher und expressiver in ihrer Persönlichkeit wirken.

Gibt es Missverständnisse oder Simplifizierungen deiner Arbeit, die sich unter deinen Betrachtern beharrlich halten, die du gerne aufklären würdest?
Ich hatte früher ein Problem damit, dass Leute meine Kunst unheimlich fanden (lacht). Insbesondere die weiß glasierten. Das war aber nie mein Ziel. Ich wollte nur, dass sie ein bisschen seltsam aussehen. Interessanterweise mögen Kinder meine Arbeiten. Sie scheinen nichts Gruseliges in ihnen zu sehen. Meine große Skulptur auf der Plattform der Tapio U-Bahnstation zum Beispiel, eine große, bronze-weiße Skulptur, die von EMMA in Auftrag gegeben wurde (das Espoo Museum of Modern Art nahe Helsinki), ist sehr beliebt bei Kindern. Das war auch mein Ziel, da U-Bahnstationen sehr unheimliche Orte sein können.

Was würdest du den Betrachtern und Betrachterinnen deiner Arbeit gerne vermitteln? Gibt es eine Nachricht oder ein künstlerisches Anliegen, dass du gerne rüberbringen würdest?
Weißt du, wenn du als Künstler arbeitest, verbringst du viel Zeit mit dir selber. Je mehr du nachdenkst, desto absurder können deine Gedanken werden. Ich bin in einer sehr religiösen Familie aufgewachsen, die jeden Samstag zur Kirche gegangen ist. Ich habe eine kleine Antipathie gegen das Predigen. In meiner Arbeit versuche ich, etwas von unvergleichlicher Schönheit zu erschaffen – etwas, das auch den Zufall und unbeabsichtigte Entwicklungen in seinem Entstehungsprozess zulässt. Sobald ich das Gefühl habe, diese Stufe erreicht zu haben, höre ich auf zu arbeiten. Ich will Arbeit machen, die ehrlich ist und meinem Weg, mich auszudrücken, treu ist.

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Interview: Florian Langhammer
Fotos: Florian Langhammer

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