Lena Göbel lässt ihre ländliche Herkunft in ihre Kunst einfließen. Motivisch beschäftigt sie sich mit Natur, Umwelt und den ihr nahestehenden Menschen, und formal übersetzt sie das Landleben ebenfalls in ihre Arbeit. Für ihre Holzschnitte verwendet sie Druckpfosten aus Birnen- oder Fichtenholz, der Druck selbst wirkt archaisch in seiner Schlichtheit. Danach geht die Österreicherin mit Malerei nochmals darüber, bringt dadurch teils abstrakte Elemente ein. Sie lebt und arbeitet in Frankenburg und Wien.
Wie kamst du zur Kunst?
Meine Eltern waren Künstler; daher wollte ich nie Kunst studieren, einfach um es ihnen nicht gleich zu tun. Allerdings entdeckte ich mit 15 den Holzschnitt, mit dem sich meine Eltern nie beschäftigt hatten. Und es gefiel mir so sehr, dass es ein Blödsinn gewesen wäre, es nicht zu machen! Ich musste mich also zur Kunst bekennen.
Hattest du das Gefühl, dass die Latte sehr hoch liegt?
Klar. Als Kind habe ich mir immer gedacht: Was ist, wenn einem als Künstler nichts mehr einfällt? Da hatte ich nicht verstanden, dass aus einem rauskommen muss, was sowieso schon drinnen ist! Und dass es gar nicht um Einfälle geht, sondern darum, was einem auffällt. Aber ich brauchte Distanz, daher bin ich nach der Akademie fünf Jahre nach Berlin gegangen. Man muss auch sein eigenes Süppchen kochen.
Aber war dir oder ist dir die Zustimmung deiner Eltern wichtig?
Ja, extrem. Damals schickte ich ihnen ständig Fotos meiner Arbeit und wollte ihre Meinung dazu. Auf die Art: Bitte huldigt mir (lacht).



Du bist in Frankenburg am Hausruck aufgewachsen, einem ländlichen Ort in Oberösterreich. Oft ist es ja so, dass Künstler, die vom Land kommen, sich davon befreien wollen. Das scheint aber bei dir nicht der Fall zu sein, du lebst sogar wieder in deiner Heimat…
Stimmt! Ich lebe mittlerweile mit meiner Mutter in einer Art WG.
Das Ländliche schlägt sich in Deiner Arbeit auch nieder. Du beginnst deinen Arbeitsprozess mit dem Holzschnitt?
Ja, der steht am Anfang. Zuerst schnitze ich ins Material. Dazu verwende ich manchmal riesige Birnbaumpfosten, was an sich unüblich ist. Das mag daher kommen, dass ich am Land aufgewachsen bin, und gerne Material direkt aus der Natur mitnehme. Überhaupt orientiere ich mich daran, wo ich gerade arbeite. In Bad Gastein etwa, wo ich mich im Zuge einer Residency mit der Architektur, Landschaft und Geschichte auseinandergesetzt habe, arbeitete ich mit Fichtenholz. Der Druckstock ist dann wie eine eigene Skulptur für mich.
Wie entstehen deine geschnitzten Motive?
Vorlage ist eine Entwurfszeichnung oder Fotocollage. Mit dem Holzschnitt kommt die Idee des Motivs, das inhaltliche Konzept. Oft geht es um Mensch-Tier Mischwesen, um einen Naturbezug. Ich denke darüber nach, wie der Mensch seine Umgebung beeinflusst. Oder ich interessiere mich für technische Motive wie in Bad Gastein zum Beispiel, das ich als Manhattan der Alpen gesehen habe. Diesen Entwurf schnitze ich dann ins Holz, im Anschluss kommt das Probedrucken.



Weil du eventuell noch etwas abänderst?
Ja. Bei Tier- oder Menschgesichtern ist es nicht einfach, den Gesichtsausdruck im Holz zu erkennen, da muss man öfter drucken. Wichtig ist mir die Mimik, daher ändere ich manchmal die Augen oder die Pupillen, um den Ausdruck besser zur Geltung zu bringen. Aber ich muss ehrlich sagen, wahrscheinlich ist das auch ein Grund, warum die Malerei in meinen Arbeitsprozess eingeflossen ist. So kann ich den Ausdruck der Gesichter mit der Malerei „ausbessern“. Die Malerei ermöglicht mir andere Stimmungen, oder Wirklichkeiten.
Empfindest du den Holzschnitt als statischer?
Genau, als starrer und plakativer, die Linien als klar und kantig. Die Malerei hingegen erlaubt mir Farbübergänge, weichere, stimmungsvollere Gesten. Der Holzschnitt ist eher dieses Expressive, expressionistische.
Da kommt einem Ernst Ludwig Kirchner in den Sinn oder Werner Berg…
Genau! Der Holzschnitt ist wie ein Halt. Was die der Malerei betrifft, empfinde ich sie als sensibler…
Den fertigen Druck klebst du dann auf die Leinwand und gehst eben zur Malerei über. Was sieht du als hierarchisch höher? Die Malerei oder den Holzschnitt?
Früher war es immer der Holzschnitt, der Druck. Es war das Skelett, um das sich der Rest formte. Aber mittlerweile ist eigentlich alles gleichwertig. Die Wertigkeit ergibt sich daraus, was mir das Bild abverlangt, ich bestimme sie im Moment des Schaffens.



Bei deinen Bildern hat die Malerei einen verschwommenen, ausgewischten Aspekt…
Diese Vielschichtigkeit ist mir wichtig. Über den fertigen Druck arbeite ich mit Malerei drüber. Ich mag es, wenn man am Ende ein geschlossenes Bild, eine vollendete Arbeit sieht. Aber Betrachtende sollen trotzdem erahnen, dass es in der Arbeit mehrere Etappen gab, die einen körperlichen Aufwand erfordern, wie das Schnitzen. Auch wenn man nicht weiß, worum es thematisch geht, sollte man als Mensch beim Betrachten etwas empfinden. Dieses Emotionale ist für mich ganz wichtig.
Was machst du eigentlich am liebsten – schnitzen oder malen?
Das kommt auf die Tagesverfassung an. Das malerische ist eher das Ruhige am Abend, wenn es schon dunkel ist.
Jetzt haben wir über die Form gesprochen; wie sieht es mit dem Inhalt aus?
Themen und Motive sind mir wichtig; Dinge, mit denen ich mich auseinandersetze. Etwa, wie der Mensch auf die Natur einwirkt, und was das über Jahrzehnte mit einem Ort und einer Gesellschaft macht.

Woher kommt das Interesse an solch „alten“ Geschichten?
Wahrscheinlich, weil ich in einem Haus aufgewachsen bin, das 400 Jahre alt und schon seit guten 100 Jahren im Familienbesitz ist. Es war ein Gasthaus, das meine Oma geführt hat, die Schlosserei meines Großvaters befand sich daneben. Da meine Eltern beide Künstler waren, kamen bei mir das historische und das handwerklich-künstlerische zusammen.
Ein eher untypisches Leben am Land?
Nun, einerseits war ich durch das Gasthaus am Marktplatz in das Dorfleben total integriert, andererseits aber hatte ich diese Künstlereltern.
Wolltest du etwas aus diesem traditionellen Milieu deines Aufwachsens in die zeitgenössische Kunst transportieren?
Ja, auf jeden Fall. Doch obwohl es bei uns in der Familie durch das Gasthaus traditionell zuging, war bei uns nichts spießig. Jedenfalls kann ich zum Beispiel einen super Schweinsbraten zubereiten - das sind Wertigkeiten, die zu überliefern wichtig sind. Das betrifft genauso das Handwerk, wie die alte Schlosserei.


Auch die Kirche gehört dazu, wenn man am Land aufwächst, oder? Kommen da Titel wie Dreifaltigkeit für deine Werke her?
Die Kirche gehört am Land dazu, auch wenn sie in der Familie nie eine wichtige Rolle gespielt hat. Aber im Gasthaus lebt man mit; etwa beim Frühschoppen am Sonntag, wo die Bauern in der Wirtsstube saßen, und die Frauen in der Küche mit meiner Oma, die sogenannten Kuchlweiber. Leichenschmaus fand auch immer bei uns statt, wir waren so ein typisches Leichenschmauswirtshaus (lacht). Man war also ständig eingebunden, weil es einfach dazugehörte. Und deshalb habe ich mich thematisch auch damit auseinandergesetzt. Überhaupt beobachtet man so viel, wenn man in einem Wirtshaus aufwächst…
Und Beobachten ist für Künstler*innen wichtig!
Das Gasthaus erlaubte mir Milieustudien! Auch als ich noch ein Kind war, kamen manchmal die ärgsten Gestalten, Trinker, vorbei. Sie saßen bei uns in der alten urigen Wirtsstube mit der Holzvertäfelung. Als Kind musste mich meine Mutter da immer wieder rausholen…
Was hast du dort gelernt?
Dass diese Randfiguren eigentlich lieb sind. Die Alkoholiker hatten mit mir und meinem Bruder so eine Freude… Das hat mich sicher geprägt: Dass diese Randgestalten, die überall verpönt wurden, bei uns etwas bekommen haben.


Ich höre eine große Liebe zu Menschen bei dir. Dabei versiehst du die Menschen oft mit einem Tierkopf?
Naja, da bin ich wieder misanthropisch (lacht). Wenn es um Individuen oder spezielle Menschen geht, kann ich teilnehmen. Aber wenn ich an die Menschheit insgesamt denke, wäre es mir lieber, die Tiere regierten. Sie faszinieren mich generell, und so kam es zum Vermenschlichen des Tiers - oder zur Darstellung des Tierischen im Menschen. Wenn man dem menschlichen Körper den Tierkopf aufsetzt, könnte dieser vielleicht anders handeln.
Würdest du dem Tier gern mehr Handlungsfähigkeit geben?
Vom Tier kann man viel lernen. Es handelt heute noch nach Instinkten und nicht nach Vorteilen, es ist nicht kommerziell motiviert. Ich denke oft darüber nach, dass Forschungsgelder in Dinge investiert werden, die fragwürdig sind. In den USA wurden etwa Mäuse mit Mammut Haar gezüchtet: Wuschelige Mäuse, die entzückend aussehen, um in weiterer Folge eventuell Mammuts rückzuzüchten. Auf der anderen Seite bekommen noch lebende Tiere nicht den Schutz, den sie brauchen. Wäre es nicht besser, Tiere in erster Linie vor dem Aussterben zu schützen? Das ist jetzt einfach mal ein Gedanke…
Wird Leben nicht genug geschätzt?
Wieso geht man mit Leben so unsensibel um, so verschwenderisch? Wenn man an die geschredderten Küken denkt… Das Problem am Menschen ist, dass er das Leben nicht respektiert.

Kommt dein Respekt vor dem Leben vielleicht vom Aufwachsen am Land?
Vielleicht, aber es hat auch mit dem Erwachsenwerden oder mit dem Älterwerden zu tun, weil man die Vergänglichkeit anders wahrnimmt. Bei uns war das Verschwenderische allerdings immer tabu. Generell denke ich, es ist eher eine Art Bildung - keine akademische, sondern eher so eine, wie sie Eltern oder Großeltern kommunizieren…
Herzensbildung! Eigentlich kommunizierst du diese Bildung durch deine Kunst, oder?
Ja – das möchte ich zumindest!
In letzter Zeit scheint sich deine Arbeit mehr ins Abstrakte zu bewegen?
Ja, das stimmt; allerdings ist bei mir wirklich alles sehr frei. Es gibt Künstler*innen, die arbeiten gegenständlich, und wenn aus dem Gegenständlichen das Abstrakte entsteht, dann arbeiten sie nur noch abstrakt. Bei mir kann es sein, dass in dieses Abstrakte etwas Figuratives zurückkommt. Es geht um einen emotionalen Prozess, den Flow.

Was deine Kunst interessant macht, ist, dass sich Inhalt und Form decken: das Archaische, Ländliche sowohl als Motiv (Natur, Tiere) als auch Arbeitsprozess (Holzschnitt).
Ja, genau das will ich sagen: Der Inhalt ist vielschichtig und deckt sich mit der Form.
Ist das auch der rote Faden, der sich durch deine Arbeit zieht?
Ja. Ich setze mich schon seit langem mit Themen rund um die Natur auseinander. Und ich habe ein Faible für Randgestalten am Land. 20 Jahre lang habe ich mit diesen Motiven gearbeitet, aber nicht gewusst, warum. Ich machte einfach, es war authentisch. Erst im Nachhinein habe ich verstanden, woher es kommt. Im Leben erkennt man manchmal, dass es in Ordnung ist, wenn man im Moment nicht weiß, warum man etwas tut; aber dass es wichtig ist, dass man es tut. Es ist ein Impuls, ein Bedürfnis, um ein Werk rauszubringen. Andere können es interpretieren. Es ist ganz wichtig, dass ein Kunstwerk gesehen wird. Ohne Betrachter bringt es nichts.
Apropos gesehen werden: Was sind deine neuen Projekte?
Eine Thematisierung der Geschichte meiner Großeltern, um ihrem Einfluss auf meine Persönlichkeit auf die Spur zu kommen. Ich verwende dazu das alte Hallentor der Schlosserei meines Großvaters, in das ich geschnitzt habe.

Das sieht sehr archaisch aus!
Genau! Die ganze Ausstellung heißt Lost in Transmission, weil die Transmission das ist, das in der Schlosserei für den Antrieb sorgt. Transmission ist für mich das Element des Antriebs, des Weitergebens von Generation zu Generation, des Überlieferns. Durch das Arbeiten daran bin ich auf die starken Frauen in meiner Familie gekommen, denen ich ein Denkmal setzen möchte.

Exhibition: AONGHUS, 2024, Gut Kerkow, in cooperation with PSM, Germany, Credit: privat

Exhibition: AONGHUS, 2024, Gut Kerkow, in cooperation with PSM, Germany, Credit: privat

Exhibition: AONGHUS, 2024, Gut Kerkow, in cooperation with PSM, Germany, Credit: privat

Exhibition: Moser In A Mostshell, 2024, Gmunden, Austria, Galerie 422/Frames, Credit: Karin Hackl
Text: Alexandra Markl
Fotos: Tim Zoidl