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Philipp Fleischmann, Wien

In the Studio

»Ich wollte die Kamera entmachten – indem ich sie einfach nicht benutzte.«

Der österreichische Künstler Philipp Fleischmann arbeitet mit analogen Filmformaten, um institutionelle Architekturen auf experimentelle Weise zu reflektieren. In seiner prozessorientierten Praxis entwickelt er eigens konstruierte Kameras, die eine direkte Verbindung zwischen Raum, Licht und Materialität herstellen. Dabei interessiert ihn das Zusammenspiel von Sichtbarkeit und Repräsentation sowie die Frage, wie kulturelle Institutionen unsere Wahrnehmung prägen. Konzeptuelle Strenge wird mit einer präzisen Bildsprache verbunden und filmische Werke, werden erschaffen, die zwischen Dokumentation, Abstraktion und räumlicher Intervention oszillieren.

Philipp, wolltest du schon immer Filmemacher*in bzw. Künstler*in werden?
Ich glaube nicht, dass ich diesen Wunsch immer hatte. Als Kind hatte ich, glaube ich, keine sehr klare Vorstellung davon, was es bedeutet, Künstler*in zu sein. Als Jugendlicher stand ich dann unerwartet für eine sehr erfolgreiche TV-Unterhaltungsserie vor der Kamera. Plötzlich wurde Film ein bedeutender Teil meines Lebens. Nach den Regeln der Gesellschaft hätte ich stolz darauf sein sollen, im Fernsehen zu sein. Das war ich aber nicht. Ich habe mich geschämt und war unzufrieden: mit meiner eigenen Leistung und mit der gesamten TV-Serie, die ich als banal empfand. Danach verspürte ich einen starken Wunsch, etwas Eigenes zu machen—etwas, bei dem ich ganz leise zu mir sagen konnte: „Ja, das gefällt mir.“ Auch wenn es nur 20 Leute sehen würden und nicht 20 Millionen. Ich wusste nicht viel über den Bereich der bildenden Kunst, aber das Verlangen nach Selbstbestimmung hat mich dorthin geführt.

Welche Erfahrungen hast du dir vom Set mitgenommen und später für deine eigene Kunst angeeignet?
Ich habe gelernt, wie ein klassisches Filmset funktioniert—mit klarer Arbeitsteilung zwischen Regie, Kamera, Produktion, Licht, Ton, Kostüm, Maske. Auch wenn ich selbst nicht in dieser Weise arbeite—mir dieses Denken in separaten Departments sogar eher widerstrebt—, wurde mir früh klar, dass künstlerisches Arbeiten ein hohes Maß an Organisation verlangt. Das hat mir bei meinen eigenen Projekten sehr geholfen.

Was waren dann deine ersten Schritte, als du hinter die Kamera gegangen bist?
Ich würde den Ausdruck „hinter der Kamera“ nicht verwenden, weil ich technisch gesehen nie dort war – und es bis heute nicht bin. Es war zunächst ein Dilemma. Ich wollte selbst Filme machen, aber die klassische Filmkamera war ein Problem für mich. Fünf Jahre lang war sie auf mich gerichtet gewesen, und ich empfand den Prozess, zum Bild gemacht und in eine fremde Erzählung gesetzt zu werden, als absolut übergriffig. Ich dachte: „Was wäre, wenn ich die Seite wechsle und hinter der Kamera stehe?“ Aber auch das fühlte sich nicht richtig an. Warum sollte ich anderen etwas antun, das ich selbst nicht wollte?
Das analoge Medium bot mir schließlich einen Ausweg. Ich erkannte, dass ich das Filmmaterial gar nicht in eine vorgefertigte Kamera einlegen musste. So konnte ich mich der eingeschriebenen Repräsentationslogik und den damit verbundenen Machtverhältnissen entziehen. Ich wollte die Kamera entmachten – indem ich sie einfach nicht benutzte. Ich begann, eigene Apparate zu bauen, und dachte die Kamera als ein flexibles System, das je nach Kontext eine andere Form annehmen kann.

3 CA Philipp Fleischmann Maximilian Pramatarov

Schreibst du dich selbst in die Bewegung von „Expanded Cinema“ ein?
Es gibt definitiv Arbeiten von mir, die sich stark auf „Expanded Cinema“ beziehen, vor allem zu Beginn. Mich interessiert Film zunächst als räumliche Anordnung, als Organisation von Materialien und Parametern für soziales und visuelles Erlebnis. Insofern komme ich in meinen Überlegungen immer wieder zu „Expanded Cinema“ zurück.

Gab es bestimmte Künstler*innen, die dich auf deinem Weg begleitet oder besonders inspiriert haben?
Unbedingt. Besonders prägend waren meine beiden Kunstlehrerinnen: Friedl Kubelkas dringliche Aufforderung, sich so persönlich und radikal wie möglich auszudrücken, und Dorit Margreiter Choys analytischer, präziser Blick auf den Kontext des eigenen Handelns und die eigene Positionierung. 

Wo hast du studiert und gab es noch Abzweigungen in andere Richtungen?
Nicht wirklich. Ich begann mit Fotografie und Film an der Schule Friedl Kubelka in Wien und studierte später Medienkunst bei Dorit Margreiter Choy an der Akademie der bildenden Künste. Ich habe oft darüber nachgedacht, was ich sonst noch hätte studieren können – aber ich glaube tatsächlich, dass Kunst eine der besten Formen von Bildung ist. Ganz unabhängig davon, ob man am Ende Künstler*in im klassischen Sinne wird oder nicht.

5 CA Philipp Fleischmann Maximilian Pramatarov

Würdest du also jeder/jedem ein Kunststudium „zutrauen“?
Es geht gar nicht um Zutrauen – eher um eine dringliche Empfehlung. Sich mit Kunst auseinanderzusetzen oder künstlerisch zu arbeiten, bedeutet, ein Ziel zu verfolgen, das nicht klar definiert ist, dessen Ausgang offen und Erfolg fraglich ist. Dieses Risiko widerspricht unserer kapitalistischen Verwertungslogik. Für einen selbst ist es nicht immer angenehm, aber man lernt, der eigenen Neugier zu folgen, eigene Methoden zu entwickeln, offen für unerwartete Ergebnisse zu bleiben – und Verantwortung für das eigene Tun zu übernehmen.

Gab es einen besonders prägenden Moment in deiner künstlerischen Laufbahn?
Die schönsten Momente in der Kunst sind jene, wo sich Dinge nach langem Herbeisehnen und vielem Arbeiten materialisieren. Wenn es beispielsweise glückt, dass die eigene Kamera Bilder erzeugt, wenn die Filmskulptur reibungslos läuft und alleine vor den eigenen Augen performt. 

Gab es auch bestimmte Ausstellungen, die eine Art ‚turning point‘ bedeuteten?
Wahrscheinlich die Arbeit am 35-mm-Film Main Hall in der Secession in Wien. Ich wurde damals nicht offiziell eingeladen, sondern habe selbst angefragt, ob ich den Raum zwischen zwei Ausstellungszyklen nutzen darf. Das war ein wichtiger Moment, um meine eigene Rolle als Künstler*in zu verstehen. Ich hatte keinerlei Zugang zu den Ressourcen der Institution. Ich dachte mir allerdings, dass es genauso wichtig ist, dass Kunst auch auf diesem Weg entstehen kann und habe daher die Position des Anfragenden und sich selbst Einladenden noch für fünf weitere Filme eingenommen. Mit Main Hall begann für mich eine tiefere Auseinandersetzung mit institutionellen Strukturen und mit der Rolle von Film in der bildenden Kunst.

Welche Fragen stellst du dir bei der Auswahl eines Ortes?
Institutionen sind Körper mit Geschichte. Einerseits über die konkrete Architektur und ihre Proklamation, andererseits über das Stattgefundene, über die Ausstellungsgeschichte, das Archiv oder die Sammlung. Und natürlich ist auch immer das Nicht-Stattgefundene ein essenzieller Teil der Geschichte. Bei den fünf österreichischen Institutionen habe ich mir angesehen, warum es die Kunstform Film trotz der österreichischen Tradition im Avantgardefilm nicht wirklich in die wichtigsten Orte und Diskussionen der bildenden Kunst geschafft hat. Dies habe ich verknüpft mit meiner eigenen Position als junge:r Filmschaffende:r, wo ich weit davon entfernt war, Zugang zu diesen Institutionen zu haben.

Würdest du dich auch als institutionskritischen Künstler beschreiben?
Man setzt sich ja nicht hin und sagt, ich mach jetzt institutionskritische Kunst. (lacht) Aber irgendwann macht man persönliche Erfahrungen und beginnt, diese in einem größeren strukturellen Zusammenhang zu reflektieren. Und manchmal gibt’s da einfach was zu tun. Ich denke, es gibt immer ein Spannungsverhältnis zwischen Künstler*innen und Institutionen, und das ist auch gut so. Meine eigene Arbeit ist in diesem Kontext mal kritischer und herausfordernder, mal harmonischer und ergänzender.

Wie würdest du deine Kunst in deinen eigenen Worten beschreiben?
Als eine Auseinandersetzung mit Vorgegebenem, mit der Suche nach Freiheiten innerhalb bestehender Systeme – und mit der Erkundung dessen, was noch nicht festgeschrieben oder definiert ist. Eine Art Pendel als Methode.

Was interessiert dich an dem Wechselspiel zwischen Ort, Technik und Zeit?
Je länger ich mit Film arbeite, desto mehr denke ich: das ist alles nur eine Frage der Organisation von Licht. Ist das Licht gebündelt und erzeugt ein Abbild—also eine Camera Obscura? Wird es durch ein Kameragate rechtwinklig beschnitten? Oder bleibt es rund? Und auf welchem Material wird das Licht aufgefangen? Architekturen organisieren neben Volumen, Räumen und Materialien eben auch Licht. Dieser Zusammenhang interessiert mich. Für mich ist der Moment, in dem Licht auf den Filmstreifen trifft, potenziell auch der Moment, wo sich das analytisch Kritische mit dem Poetischen treffen kann.

Was bedeutet der Begriff der “Film-Skulptur” für dich?
Als ich an dieser Werkserie zu arbeiten begann, merkte ich, dass ich keinen passenden Begriff für das hatte, was ich da mache. Film steht für Bewegung, für zeitliches Entfalten. Skulptur dagegen denken wir als etwas Räumliches, Statisches, Behauptendes. Diese Gegensätze—das Zeitliche und das Räumliche, das Bewegte und das Statische—interessieren mich. Ich habe mir daher kurzerhand den Begriff „Filmskulptur“ selbst überlegt, um meine Praxis besser fassen und vermitteln zu können.

Würdest du sagen, dass Sprache, Begriffe oder überhaupt das Linguistische eine wichtige Rolle in deiner künstlerischen Arbeit spielen, insbesondere im Kontext von Film?
Eine große. Ich schreibe eigentlich immer parallel zu meinen Projekten. Das können flüchtige Notizen, seitenlange Begriffsklärungen, Referenzen oder Skizzen sein. Das Schreiben hilft mir, mein eigenes Tun zu verstehen—oder überhaupt erst formulieren zu können, was ich will. Das meiste davon wird nicht veröffentlicht, es begleitet die Arbeit eher im Hintergrund. Aber es ist wichtig.

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Wie stehst du zu dem Begriff der Queer Abstraction?
Aktuell beschäftige ich mich mit dem Begriff Queer Abstraction, vor allem in Bezug auf David J. Getsy‘s Schriften und seine „Ten Queer Theses on Abstraction“. Was mich besonders anspricht, ist seine Ansicht, dass Abstraktion selbst eine Kritik an den Forderungen nach Repräsentation und Sichtbarkeit sein kann. Das resoniert stark mit mir—schließlich stelle ich mich seit Beginn meiner künstlerischen Arbeit gegen die Repräsentationslogik der filmischen Kamera. Eigentlich verwende ich den Begriff wie die oben erwähnten Arbeitsnotizen als eine Art Klärung für mich selbst und als Antrieb: weg von Wiedererkennbarkeit und Repräsentationszwang, hin zu relationalen und strukturellen Fragen!

Hast du manchmal das Gefühl, dass deine Kunst missverstanden wird?
Nicht missverstanden—eher: anders verstanden. Und das gehört zur Kunst dazu. Menschen bringen ihre eigenen Perspektiven mit, erkennen andere Dinge, legen andere Bedeutungen in Formen und Begriffe. Ich bin da ganz Ohr...

Würdest du sagen, Film hat in deiner Praxis auch ein performatives Element?
Absolut. Film ist in seiner Anlage performativ—allein schon durch den Akt des Durchlaufens und Belichtens des Filmstreifens. Auch das Abspielen selbst ist eine Aufführung: Wenn der Streifen durch den Projektor läuft und Licht für ein Publikum erzeugt wird. Und dann stellt sich immer wieder die Frage: In welchem Rahmen findet diese soziale Praxis statt? Kino, Ausstellung, Screen? Temporäres Kollektiv oder Einzelperson?

Was bedeutet dir der physische Raum deines Studios? Und wie beeinflusst er deine künstlerischen Prozesse? 
Ich war lang sehr skeptisch, was die Idee eines Studios betrifft, und habe mir absichtlich keines angemietet. Stichwort ‚Post Studio Practice‘, wo die Kunst unabhängig vom klassischen Atelierraum entsteht—oft ortsbezogen, prozesshaft, konzeptuell und in Auseinandersetzung mit sozialen oder institutionellen Strukturen. Seit der Pandemie hat sich jedoch eine klassischere Atelierpraxis ergeben, die mich aktuell stark interessiert—vielleicht gerade, weil sie mir neu erscheint.

Wie viele Studios hast du? Wo sind deine Arbeitsstätten?
Ich arbeite an vielen Orten. Das Studio ist für mich gar kein klar definierter Ort. Manchmal ist es ein angemieteter Raum, manchmal meine Privatwohnung. Manchmal ein Ausflug aufs Land, manchmal ein mehrwöchiges Arbeiten in einem institutionellen Setting. Oder, wie heute, das Studio der ‚Schule Friedl Kubelka für unabhängigen Film‘, wo ich seit 13 Jahren arbeite.

Die Schule Friedl Kubelka für unabhängigen Film leitest du mittlerweile. Was bedeutet das für dich als Künstler*in?
Es spiegelt ein weiteres Bedürfnis nach Freiheit wider—diesmal nicht nur für mich, sondern für viele andere. Die Schule ist ein Ort des Austauschs und der Begegnung zur Kunstform Film, jenseits offizieller Ausbildungssysteme.

Was würdest du deinen Studierenden mitgeben?
Dasselbe, was ich mir selbst mitgeben würde: sich selbst in der Frage, warum man Kunst machen will, wahr- und ernst zu nehmen. Die Filmschule ist keine formale Ausbildung—sie ist ein Ort, um zusammenzukommen, zu arbeiten und Wissen und Erfahrungen zu teilen. Ich halte sie bewusst klein, intim und möglichst von der Öffentlichkeit fern, um tatsächlich einen Safer Space zu schaffen. 

Wie sieht dein typischer Alltag im Studio aus?
Immer früh und mit viel Kaffee. Oft starte ich mit organisatorischen Dingen – E-Mails, To-Do-Listen. Nach ein paar Stunden beschwert sich dann das Künstler*innen-Dasein, wie entsetzlich langweilig es ist, nur vorm Laptop zu sitzen—und fordert haptisches Arbeiten ein. Nach ein paar Tagen fühlt man sich einsam und versucht, Freund*innen und Kollaborateur*innen ins Studio zu locken; Austausch muss her. Dann bitte wieder dringend Ruhe und Flugmodus am Handy. Ach so, und die Deadlines müssen natürlich auch alle brav eingehalten werden …

Woran arbeitest du gerade – und was sind deine nächsten Projekte oder Ausstellungen?
Derzeit läuft ein kleineres Werk im MuseumsQuartier in Wien, und kürzlich ging eine umfangreiche Ausstellung am Franz-Josefs-Kai 3 zu Ende. Die letzten zweieinhalb Jahre waren sehr produktionsintensiv—mit vielen Neuproduktionen. Aktuell verspüre ich den Wunsch, mir wieder mehr Zeit zu nehmen. Ich arbeite an neuen Fotogrammen, habe Ideen für weitere Filmskulpturen, und seit drei Jahren filme ich gemeinsam mit einem guten Freund an einer Art Porträt mit der Super-8-Kamera, das vom Ringen um Asyl-Anerkennung im österreichischen Rechtsstaat ausgeht.

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Gibt es etwas, das du der nächsten Generation von Künstler*innen mitgeben würdest?
Jetzt fühle ich mich alt! (lacht) Eigentlich hofft man ja selbst auf Ratschläge, die einem weiterhelfen—also her damit! Aber vielleicht gerade deshalb: sich Zeit nehmen. Das klingt banal, aber in einer Gegenwart, in der Sichtbarkeit—gerade durch Social Media—zu einer Art Währung geworden ist, halte ich Phasen des Rückzugs für ein wichtiges Werkzeug. Momente der Reflexion, der Neu- oder Umorientierung. Und natürlich: Bitte an der eigenen Kunst arbeiten—nicht fürs Kunstsystem.

Text: Livia Klein
Fotos: Maximilian Pramatarov

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