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Renate Bertlmann, Wien

In the Studio

»Die Ästhetik meiner Arbeiten führt in eine Falle.«

Die Pionierin der österreichischen Performancekunst, Renate Bertlmann, pflegt einen ironisch-provokativen Zugang, wenn sie in ihren Arbeiten Themen wie Sexualität und Geschlechterrollen umkreist. Dabei lockt die in vielen Medien beheimatete Künstlerin mit liebreizender Ästhetik, bevor der zweite Blick den „Stachel des Feminismus“ offenbart.

Renate, betrachtet man dein umfangreiches künstlerisches Schaffen, fällt die große Medienvielfalt auf: Performance, Fotografie, Grafik, Installationen … Gibt es ein Medium, in dem du dich besonders gerne ausdrückst? Und weshalb?
Ich switche permanent zwischen vielen Medien hin und her: Zeichnung, Fotografie, Malerei. Allerdings bin ich keine, die den dicken Ölpinsel schwingt, sondern ich arbeite eher in Mischtechnik. Aber im Grunde meines Herzens arbeite ich gerne dreidimensional, entwickle Objekte oder Objektinstallationen. Fotografie hat auch einen ganz großen Stellenwert. Ich umkreise alles, was ich so an Installationen oder Objekten mache, mit dem Fotoapparat, um mit einem anderen Medium eine weitere Ebene für mich transparent zu machen.

Du inszenierst dich auch selbst vor der Kamera und hältst das mithilfe des Selbstauslösers fest …
Die Kamera war für mich nie etwas Fremdes, sondern eine verlängerte Hand. Die Verbindung mit ihr ist eine sehr intime. Ich habe mich nicht vor ihr gefürchtet. Vor einer fremden Kamera habe ich ein Gefühl der Distanz, die eigene Kamera ist immer auch der eigene Blick.

Wie bist du bei der inszenierten Fotografie vorgegangen?
Das braucht viel Erfahrung und auch Sicherheit. Ich fange nie an, bevor ich nicht genau weiß, was ich will. Und wenn dann die Distanz feststeht, gehe ich zur Kamera, stelle den Selbstauslöser ein, gehe zurück und – klick. Ich habe mir dabei nie irgendeine Markierung gemacht. Das hätte mich irritiert, das musste ein Fluss sein. Dann die nächste Pose, wieder zurück, die nächste Pose, wieder hin. Bei mir muss das sehr schnell sein, alles, was langsam ist, wird nichts. Der Fluss darf nicht durch Denken unterbrochen sein, das Denken kommt davor.

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Wie würdest du deine künstlerische Arbeitsweise ganz allgemein beschreiben?
Das ist eine innere Stimme, ein innerer „urge“, eine Obsession, ein „must“, etwas, das einem gegeben ist. Also ich verordne mir ja nichts, sondern ich fühle mich eigentlich als Werkzeug. Alles, was ich so aufnehme, fließt in meine Arbeit und kommt dann in irgendeiner Form wieder heraus, aber wie und wann und wieso, das überlasse ich dem Zufall.

Was ist für dich ein wichtiger Aspekt an dem Raum, in dem du arbeitest?
Ruhe. In diesem Atelier hier bin ich seit über fünfzig Jahren und habe nie ein Radio gehabt. Ich arbeite immer bei absoluter Stille. Stille ist für mich das Wichtigste.

Du hast an der Akademie der bildenden Künste in Wien Malerei studiert und unmittelbar danach bis 1982 in der Meisterklasse für Restaurierung und Technologie Maltechniken unterrichtet, parallel dazu aber schon mit deinen Performances begonnen. Kannst du uns etwas über deine Zeit an der Akademie erzählen. Wie war es für dich, als Frau an der Akademie in diesem damals sehr männlich dominierten Bereich Malerei tätig zu sein?
Es waren ganz, ganz wenige Frauen dort. Ich war schockiert, weil ich nicht erwartet hatte, dass es so gruftig ist. Die Professoren waren alles Männer, wie etwa Sergius Pauser, mein Professor – ein guter, aber sehr traditioneller Maler. Und die phantastischen Realisten, die waren ja damals en vogue, zwei von ihnen hatten auch Professuren an der Akademie. Es gab keine einzige Professorin, kein Role Model, an dem wir paar armselige Studentinnen uns irgendwie orientieren konnten. Das war ein großer, großer Frust.

War das Interesse bei den Frauen an Malerei oder dem Kunststudium im Allgemeinen denn so gering?
Das kann ich nicht so genau sagen. Es gab ja Aufnahmeprüfungen, ich kann mir gut vorstellen, dass männliche Bewerber als begabter oder interessanter eingestuft wurden. In der Lehramtsklasse waren jedenfalls nur Frauen. Sie wurde von Gerda Matejka-Felden geleitet, der Gründerin der künstlerischen Volkshochschulen. Von ihren Kollegen ziemlich respektlos „alte Ziege“ genannt, hatte sie ihre Unterrichtsräume im Keller, während die Herren Professoren die großen, luftigen Ateliers in den oberen Stockwerken zur Verfügung hatten.

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Wie bist du zur Kunst gekommen, hat es einen Moment gegeben, der dafür ausschlaggebend war?
Meine Mutter ist Künstlerin gewesen, die hat mich sehr ermutigt. Wie es gegen die Matura gegangen ist, habe ich gespürt: Kunst oder – und das ist lange so gewesen – Medizin.

Siehst du Parallelen zwischen Kunst und Medizin?
Große. Ich war immer sehr interessiert an der Geschichte der Hexenverfolgung, auch auf Grund der Forschungen, die in den beginnenden 1970er Jahren im Zuge der feministischen Aufarbeitung der Geschichte der Frau betrieben wurden. Man konnte sehen, diese Frauen waren alles, sie waren Künstlerinnen, Gynäkologinnen, Geburtshelferinnen, Ärztinnen, Tänzerinnen, sie haben alles gemacht. Und das ist mir auch so vorgeschwebt. Aus mir wäre nie eine traditionelle Medizinerin geworden. Ich habe damals schon von alternativer Medizin wie TCM geträumt. Diese Träume hatte ich sehr lange. Noch während meines Studiums an der Akademie habe ich in Spitälern volontiert. Ich habe auch zwei Semester seziert.

In der Renaissance haben die Künstler auch seziert, um die menschliche Anatomie besser kennenzulernen.
Natürlich. Manchen Medizinstudenten hat es ziemlich geekelt. Ich habe das geliebt, für mich war der tote Körper ein Kunstwerk – diese Organe und diese faserigen Muskeln. Und damals habe ich das erste Mal ein Skalpell in die Hand bekommen. Das geistert seit dieser Zeit in meiner Arbeit herum.
Und auch die verschiedensten medizinischen Geräte, beispielsweise in meiner Arbeit Rosemarie’s Baby, das sind lauter Behindertenbehelfe. Oder die Rollstuhlzyklen, Infusionsflaschen ... Bis heute liebe ich diese Geräte, sie tauchen immer wieder auf. Ich mag die ambivalenten Gefühle, die sie auslösen.

1978 hast du deine künstlerische Maxime „amo ergo sum“ definiert. Kannst du uns mehr darüber erzählen?
Das ist nicht so einfach. Es ist aus mir aufgestiegen, auf einmal einfach dagewesen. Aber wenn ich es analysiere, ist es natürlich eine Verdichtung aller Konzepte, aller Ideale und Utopien, die ich dem Leben gegenüber habe. Ich würde mir wünschen – und das ist ja besonders für künstlerische Menschen ganz wichtig –, dass Körper, Seele und Geist eine Einheit bilden, weil nur dann kann ich wirklich kreativ sein, stark sein, wage ich es, mir aller Dinge bewusst zu sein, wage ich es, im besten Sinne des Wortes revolutionär zu denken und zu handeln. Und dazu gehört auch eine reife Sexualität, nur dann kann man sie gleichsetzen mit dem Eros als schöpferischer Kraft schlechthin. Wenn wir sexuell verkümmert und verkrümmt sind, entfachen wir Kriege. In diesem Sinne lautet der Titel meines VERBUND-Kataloges auch "AMO, ERGO, SUM. Ein subversives Politprogramm". 

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Dein Schaffen dreht sich, du hast es gerade angesprochen, stark um Sexualität, um die Mann-Frau-Beziehung und Geschlechterrollen. Welche Rolle spielt Provokation dabei?
Provokation ist mir überhaupt nicht wichtig. Aber da ich einfach das, was mich bewegt, was mich schmerzt, was mich drängt, ausdrücken möchte und das kompromisslos tue, ist das automatisch provokativ. Für mich ist es ein „must“, für den anderen ist es meistens ein Schock, weil es sehr direkt ist. Es freut mich, dass die Leute nicht gelangweilt an meinen Sachen vorbeigehen. Die Ästhetik meiner Arbeiten ist verführerisch, aber das ist eine Falle. Wenn man näher kommt, ist da irgendein Stachel – das mag ich.

Gerade in deinen Performances erhältst du unmittelbares Feedback von teilnehmenden Personen. Sind dir bestimmte Situationen oder Reaktionen besonders in Erinnerung geblieben?
Da ich das Publikum immer mit einbezogen habe, hat es vielleicht Situationen gegeben, die besonders „embarrassing“ waren – besonders für die, die mitgemacht haben, wie in der Sling Shot Action, die ich in der Franklin Furnace in New York gemacht habe. Da habe ich mit Sexpuppen getanzt und mir Menschen aus dem Publikum herausgepickt und sie mehr oder weniger gezwungen, ebenfalls mit den Sexpuppen zu tanzen. Die meisten haben sich dabei nicht sehr wohl gefühlt. Eine sehr lustige Geschichte ist in der Performance Die schwangere Braut im Rollstuhl in Wien passiert. In der Performance habe ich quasi geboren: Ich bin aus meinem Rollstuhl aufgestanden, habe das Kind rausgedrückt, den Raum verlassen und das Baby sozusagen dem Publikum überlassen. Da kam plötzlich ein junger Mann aus der Menge und stellte ein Milchpackerl neben das am Boden liegende Baby. 

Gibt es eine oder mehrere zeitgenössische Künstlerinnen, deren Arbeit du mit besonderem Interesse verfolgst?
Ich kenne viele junge Künstlerinnen und ich arbeite sehr gerne mit ihnen zusammen. Und ich bin sehr zuversichtlich einerseits, weil sie so talentiert und intelligent sind, sehr oft auch „overtrained“, und auch gelernt haben, einander zuzuhören – was ganz wichtig ist – und miteinander zu arbeiten, zu lobbyieren, was wir allerdings alle noch immer nicht so gut können wie die Männer. Aber immerhin gibt es sehr, sehr viele Frauengruppierungen, die überzeugende Konzepte haben und sie auch umsetzen. Da bin ich sehr optimistisch, da tut sich sehr viel. Auf der anderen Seite habe aber ich das Gefühl, dass das patriarchale Gefüge nach wie vor nicht wankt.

In den letzten Jahren hast du viel Anerkennung für dein beeindruckendes, umfangreiches künstlerisches Schaffen erhalten: 2017 den Großen Österreichischen Staatspreis, dieses Jahr die Einladung, den Österreich-Pavillon auf der Biennale in Venedig zu bespielen. In den Jahren davor (vor der von Carola Dertnig und Stefanie Seibold kuratierten Ausstellung „Let’s twist again“) hast du dich, wenig von der Öffentlichkeit wahrgenommen, deiner künstlerischen Praxis gewidmet. Wie hast du diese ruhigere Zeit in deiner Karriere wahrgenommen?
Ich habe nie Klinken geputzt, auch wenn ich kein Geld hatte. Und ich habe auch nie eine Galerie gefragt, ob sie mich vertreten möchte. Das war mir fremd. Ich habe immer das Gefühl gehabt, ich muss warten, bis die Zeit kommt. Und genauso ist es geschehen. Es ist zwar relativ spät, aber nicht zu spät. Die restlichen Jahre werde ich hoffentlich genießen können, wenn mir neben den vielen Ausstellungen noch Zeit bleibt, neue Arbeiten zu realisieren. 

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Du bespielst dieses Jahr als erste Frau mit einer Einzelausstellung den Österreichischen Pavillon in Venedig. Was war deine erste Reaktion, als du davon erfahren hast?
Überraschung. Ich hatte nicht damit gerechnet. Dann habe ich mich aber sehr darüber gefreut, weil ich Felicitas Thun-Hohenstein in der Vergangenheit schon bei drei Ausstellungen als Kuratorin schätzen gelernt habe. Und es ist natürlich eine große Freude und eine Herausforderung, den Pavillon alleine gestalten zu können, er ist ja nicht einfach zu bespielen, aber ich werde ihn erobern.

Ebenfalls diesen Sommer wird eine Einzelpräsentation von dir in der Niederösterreichischen Landesgalerie in Krems zu sehen sein. Es ist deine erste museale Personale und zugleich die erste Ausstellung in der neu eröffneten Landesgalerie – ein Jahr der Superlative. Was planst du für die Zeit danach?
Ich bin bis 2022 mehr oder weniger ausgebucht. Ein Teil meiner Venedig-Ausstellung wird nächstes Jahr im Oberen Belvedere gezeigt, danach ist eine Personale in London in der Gallery Richard Saltoun geplant. Weiters ist für 2022 eine Retrospektive im Belvedere 21 angedacht.

Gibt es Situationen in deiner künstlerischen Karriere, in denen du aus heutiger Sicht anders gehandelt hättest?
Nein, rückblickend gesehen, war alles richtig. Auch die Vorkommnisse, die erschreckend waren oder kränkend. Alles war gut, alles war Dünger für die heutige Zeit. Ich war immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort … mit den richtigen Menschen.

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