Der österreichische Maler Tobias Pils steht mit einer klaren Idee vor der Leinwand, die er in einer reduzierten Farbpalette verwirklicht. Die Energie des Themas lässt er aus sich sprechen, bringt jedoch gleichzeitig auch eine gewisse Entfremdung ein, um eine Projektionsfläche für andere zu bieten. Pils vermischt abstrakte und figurative Elemente und konstruiert so eine vielschichtige Komposition. Aus dieser ergibt sich stets ein Fenster in eine neue Arbeit, die sich in seinen Werkprozess einreiht.
Wie bist du zur Kunst gekommen?
Mein Vater studierte an der Akademie der bildenden Künste bei Josef Mikl, und nahm meinen Bruder und mich als Kinder immer wieder dorthin mit. Ich kann mich genau erinnern, diese Stufen auf- und abzugehen. Und dass ich dachte: Das will ich auch mal machen. Ein Studienkollege meines Vaters sagte damals: "Mach das bitte nicht, es ist furchtbar, Künstler zu sein." Meine Reaktion: Totzdem. Mit 17 fing ich an, täglich zu zeichnen. Und bewarb mich in diesem naiven Größenwahn erfolgreich für Malerei und Grafik.
Wie startest du den Arbeitsprozess?
Das ist ein ongoing Prozess. Das eine Bild gebiert das nächste, denn in jedem ist auch ein neuer Moment drinnen, der mich weiter interessiert. Von diesem Fenster, das sich da öffnet, schlüpfe ich ins nächste Bild. Bevor ich zu malen anfange, habe ich eine ganz klare Idee oder ein Gefühl, das ich verwirklichen will; manchmal ist es auch eine bestimmte Temperatur, oder ein Motiv. Sonst beginne ich nicht. Danach lasse ich die Energie des Themas durch mich durch. Und schließlich muss auch eine Art Entfremdung her, damit die Arbeit eine Projektionsfläche für andere sein kann.
Vom Persönlichen ins Allgemeine…
Ja, und umgekehrt. Friederike Mayröcker schrieb: „von außen nach innen und von innen nach außen“. Und sie meinte damit, dass es von außen nach innen der leichtere Teil ist; aber von innen nach außen, das ist der Teil der Formfindung.

Und der Job des Künstlers! Wie findest du deine Motive?
Die kristallisieren sich in einem Prozess heraus. Es sind immer die gleichen Motive, die sich verändern, mutieren, sich verlieren, und dann wieder aufbauen.
Was sind deine Standardmotive?
Es ist wohl eine Mischung zwischen Figuren, Naturmomenten, Sonnen, Bäumen, Ästen, Wetter, Eiern in verschiedensten Zuständen. Wo es auch immer auch um etwas anderes geht…
Und dann stehst du mit diesem Motiv im Kopf vor der weißen Leinwand?
Nicht immer nur mit dem Motiv, sondern oft bereits mit einer bestimmten kompositorischen Vorstellung.


Bist du jemand, der das Bild schon sieht und es dann aus dem Gedächtnis „abmalt“, oder arbeitest du im Moment?
Manchmal sehe ich es schon vor mir, aber man ist limitiert. Durch diese Limitation im eigenen Können entsteht allerdings etwas Neues. Ich glaube, im Machen und Tun - nicht nur Denken, sondern Tun - steckt die Möglichkeit einer Verwandlung. Und genau darum geht es der Kunst. „Nur“ die gute Idee hat man ja schnell… Zum Beispiel die Sonnenblumen von Van Gogh: Da geht es zwar auch um Sonnenblumen, aber eigentlich um Transformation.
Wie man ihnen neue Bedeutung gibt?
Ja, und das dauert. Das muss man denken, aber auch spüren und machen.
Du sagst, man sei in seinem Können limitiert. Hast du das Gefühl, dass du dich von Bild zu Bild weiterentwickelst, „besser“ wirst?
Es hat nichts mit „besser“ zu tun. Ich bin an einer Bewegung interessiert. Man bewegt sich weiter, manchmal auch im Kreis. Aber es geht darum, dass man immer tiefer graben will. Die Aufgabe eines Künstlers ist nicht, dass er professioneller wird. Eher, dass seine Arbeit durchsichtiger und tiefer wird, er eine andere Form von Sprache entwickelt.


Hast du eine eigene Sprache entwickelt?
Das will ich nicht beurteilen! Ich glaube grundsätzlich nicht an Lösungen. Ich habe diese Unruhe in mir, oder diesen Wunsch nach Bewegung, nach dem Weiterziehen. Ich will nicht in meinem eigenen Saft schmoren, aber wahrscheinlich habe ich schon eine Art eigene Grammatik für mich entwickelt.
Diese wird Betrachtenden dann bewusst, wenn sie deine Bilder erkennen. Denkst du, dass deine Grammatik ein Alleinstellungsmerkmal von dir ist?
Naja, ich denke, das ist eine Grundvoraussetzung. Wobei - dieses rein Selbstreferenzierende, das nervt mich oft.
Wir leben eben in einer Zeit, in der es sehr viel um Selbstreflexion geht. In der Literatur gibt es die Autofiktion, auch in der Kunst dreht sich viel um Identität.
Das setze ich einerseits voraus. Aber zugleich finde ich es schön, dass man sich in der Kunst in einem Genre befindet, in dem es eine Vorgeschichte gibt; man ist Teil einer längeren Geschichte, und findet dann einen Moment, der neu und anders ist.



Ist das die Aufgabe, die du dir selbst stellst?
Ja, vielleicht, aber es ergibt sich einfach über einen längeren Zeitraum. Es gibt auch Momente, die mich selbst unterhalten, weiterbringen. Etwa Motive in meinen Werken, die sich auf Bilder beziehen, in denen sie schon einmal vorgekommen sind, und die ich transformiert und übersetzt habe. Und wenn man das so bei jedem Bild so macht, entwickelt sich ein Werk.
Du hat davon gesprochen, die Erzählung aus einem Bild rauszunehmen. Ist es dir wichtig, dass deine Bilder nichts erzählen und der Betrachter selbst etwas interpretiert?
Ich glaube, vor drei Monaten hätte ich noch gesagt, ich will überhaupt keine Narration, gar nichts erzählen. Mittlerweile traue ich der Aussage nicht mehr ganz. Man kann keine Geschichte in meinen Bildern ablesen. Das vermeide ich eher, und wenn es zu illustrativ wird, versuche ich genau diese Momente aus den Bildern zu nehmen. Damit für den Betrachter eine eigene Interpretation möglich, aber keine klassische Story ablesbar ist.
Findest du jede Interpretation gültig, oder denkst du dir bei mancher Sichtweise, das ist jetzt ein Blödsinn?
Denke ich mir auch mal (lacht). Aber ich finde es schön, wenn man die Bilder freigibt und sie in der Ausstellung hängen. Dann kann jeder denken, was er will.
Du machst also viel auf, ohne eine bestimmte Richtung vorzugeben.
Während ich male, denke ich ja überhaupt nicht inhaltlich, sondern wirklich rein formal. Ich glaube, dass die Form den Inhalt bestimmt.


Form vor Inhalt?
Ja. Und wenn das für mich stimmt, dann ergibt sich der Rest automatisch. Das Ganze ist fast wie ein Plan oder Koordinatensystem, in dem es bestimmte Blickrichtungen und formale und inhaltliche Vorgaben gibt, aber der Betrachter es letztlich für sich selbst zusammenbaut. Es ist gar nicht so einfach: Man muss die richtige Form finden, um sich wirklich selbst einbringen zu können. Und dann muss man es mit Motiven oder Inhalten paaren, um ein anderes Fenster aufzumachen, eine andere Energie zu kreieren.
Letztens hast du in einem Interview gesagt: „Können limitiert, Nichtkönnen aber auch“. Stehst du dazu?
Im richtigen Zusammenhang ja. Ich glaube, dass man Ambivalenzen zulassen muss, und dass in einem Bild Widerspruch unter Umständen kein Widerspruch ist.
Vielleicht ist es eben interessanter, wenn es keine klare Lesart gibt…
Und trotzdem soll das Bild ganz klar sein! Ein Werk muss in der Zeit und auch außerhalb der Zeit sein. Ich finde, Alberto Giacometti ist ein schönes Beispiel. Seine Skulpturen könnten vor Tausenden Jahren gedacht worden sein, zugleich sind sie aber ganz klar in den 40er, 50er Jahren verortbar, könnten aber andererseits auch aus der Zukunft kommen!



Da du Giacometti nennst: Es wird ja immer wieder gesagt, dass deine Figuren auch etwas aus der Zeit der Moderne haben. Bist du damit einverstanden?
Jein. Wenn man malt, ist man immer Teil von etwas Größerem. Ich finde, wenn man nicht mit einem Bein in der Vergangenheit steht, kann man mit dem zweiten Bein nicht frei im Neuland navigieren.
Also du musst die kennen, die vor dir kamen?
Jeder Pinselstrich, den man macht, ist schon tausendmal gemacht worden. Bilder sprechen auch über andere Bilder. Das ist das schöne, spannende an der Malerei, dass man so einen kleinen Radius hat und wenn man ihn vergrößert, steckt etwas Neues drinnen.
Ein Weitergehen im Rahmen der Kunstgeschichte…
Ja, man erreicht auf diese Weise ein „Shared Space“, in dem alle Bilder, die schon mal gemalt worden sind, miteinander sind. Der Zeitbegriff löst sich auf. In der Malerei sind hundert Jahre eine kurze Zeit. Ich habe auch immer Probleme mit diesem Wort "Contemporary": Was heißt das? Ich habe römische Fresken gesehen, die sich anfühlen, als seien sie erst gestern entstanden.

Manche Kunst ist eben aus der Zeit gefallen.
Beides: Und gleichzeitig in der Zeit. Denn nur in einer gewissen Zeit sind gewisse Formen möglich. Ich glaube, ich kann meine Bilder auch nur jetzt so malen. Vor 30 Jahren, selbst wenn ich es malerisch gekonnt hätte, hätten sie keinen Sinn gemacht. Mein Wunsch ist, dass meine Bilder etwas Gegenwärtiges und etwas Zukünftiges haben. Es ist doch auch schön, wenn man wie bei uns Lebewesen die Falten oder die Narben sieht.
Apropos Narben: Du hattest einen Radunfall, und warst danach beim Malen für einige Zeit behindert. Wie hast du diese Zeit erlebt?
Ich konnte damals überhaupt nicht malen, weil die Bewegung so schmerzhaft war. Nach vier Monaten ging mir das so auf die Nerven… Und dann hatte ich Lust, und auch bestimmte Vorstellungen. So malte ich etwa zehn, zwölf Bilder, in meinem limitierten Zustand, die sehr reduziert sind. Die sind mir recht leicht gefallen. Sie hatten, im Nachhinein gesehen, etwas Prothesenhaftiges, wie fragmentarische Körperteile – was mir in dem Moment gar nicht so bewusst war.
Bliebst du dabei?
Als es mir mit der Hand schon viel besser ging, dachte ich, dass ich gerne noch mehr von diesen reduzierten Bildern hätte. Aber ich habe kein einziges mehr hingekriegt, weil es keinen inneren Grund mehr gab. Das war ein schönes Erlebnis, dass sich die Bilder selbst dagegen gewehrt haben.

Ging's nach den reduzierten Bildern einfach weiter oder wirkte das nach?
Es wirkte insofern nach, als dass ich an diesen Prozess der Reduktion nicht mehr anschließen konnte. Ich hatte zwei Entwicklungsschritte übersprungen. So musste ich einen Schritt zurückgehen, und kam zu fragmentarischen Figuren. Dann wieder einen kleinen Schritt zurück, bis ich mich um diese ganze Figur kümmern konnte. Die Happy Days Bilder meiner letzten Ausstellung waren dann die Folge dieser „broken shoulder Paintings“.
Zwei Schritte zurück, das hört sich nach einer großen Selbstdisziplin an? Dass du dir nicht erlaubst, auf einem Weg weiterzugehen…
Ja, aber der Weg war eben nicht da.
Wie hast du das festgestellt, dass du den Schritt zurückgehen musstest?
Weil ich vor der Leinwand stand - und es passierte nichts.

Und im Gegensatz dazu: Wie weißt du, wann ein Bild fertig ist?
Unterschiedlich, das ist bei jedem Bild anders, manche brauchen länger. Der Entstehungsprozess ist wie ein ganzes Leben, von der Geburt bis zum Ende, und dann wird erst das Bild geboren.
Du bist dafür bekannt, viel in Grau und Schwarztönen zu malen. Jetzt sehe ich hier Farbe, wenn auch eher gedämpft – wo kommt die neue Buntheit her?
Ich habe meine Arbeit nie als schwarz-weiß gesehen, daher sehe ich sie jetzt nicht als besonders bunt. Für mich macht es keinen Unterschied. Es tat sich ein Fenster für mich auf, fast eher zufällig, weil ich falsche Farben gekauft hatte. Diese benutzte ich; etwas ergab sich, und ich ging weiter. Ich sehe das als großes Ganzes. Genauso wenig, wie mich bei den schwarz-weißen Bildern die Nicht-Farbe interessiert hat, interessiert mich hier die Farbe.
In diesem Bild etwa sehe ich Grün…
Dieses Bild ist der Einstieg in die mumok Ausstellung ab Herbst 2025, ein Nachhall des „Blindensturz“ von Brueghel. Hier hat mich interessiert, dass man das Motiv sieht, obwohl das Motiv selbst (der Blinde) nicht sehen kann. Aber es soll keine Interpretation des Bildes sein, oder sondern eher …


Ein Ausgangspunkt?
Ein Ausgangspunkt und ein Nachhall. Die Uridee war, dass ich das Bild stärker ausmale, aber mir gefiel der Moment, als man nur die Figuren sah, und nicht von Landschaft, Kirche und ähnlichem abgelenkt wurde. Und dann: diese leere Leinwand, das viele Weiß. Auch die Blinden sehen ja nichts…
Du steigst damit in ihre Welt ein.
Ja. Ich weiß ja auch nicht, wie es ist, blind zu sein. Vielleicht hat Nicht-Sehen auch mit einer Energie oder einem Sound zu tun, an dem man sich orientiert.
Die Bewegung des Sturzes hast du in deinem Gemälde festgehalten…
Das ist ein Grundthema von mir: das Fallen und Halten. Im Bild kommt das sprichwörtlich vor, die eine Figur fällt, und die andere hält, eine nach der anderen.

Halten und Fallen ist ein wunderbares Thema für unsere Zeit?
Ja.
„Happy Days“ war, wie bereits angesprochen, der Titel deiner letzten Ausstellung bei Eva Presenhuber. Es ist auch ein Theaterstück von Samuel Beckett - wie hast du es umgesetzt?
Das hatte nichts mit einer Umsetzung des Theaterstücks zu tun! Eine Freundin brachte mich zufällig darauf, als ich gerade nach einem Ausstellungstitel suchte. Happy Days mit Augenzwinkern wäre eigentlich ein guter Titel, überlegte ich dann. Die Bilder beziehen sich aber nicht auf dieses Theaterstück, sondern eher auf diesen ganzen Zustand, der da vorkam.
Der Titel kam also, nachdem die Werke fertig waren?
Titel kommen bei mir immer erst, nachdem die Arbeiten fertig sind.
Wie findest du das Arbeiten in Wien?
Ambivalent, dabei kann man es belassen.
Was sind deine neuen Projekte?
Im Herbst 2025 eröffnet eine Einzelschau im mumok. Daneben sind noch zwei weitere Einzelschauen in Vorbereitung, nämlich bei Gisela Kapitän in Köln und eine Zeichnungsausstellung bei Eva Presenhuber in Wien, beide im November.
Text: Alexandra Markl
Fotos: Christoph Liebentritt